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Kompromiss-Suche vor
der Götterdämmerung

Kanzlerin steckt von Bayreuth aus deutschen Kurs ab

Von Gerd Reuter
und Karl-Heinz Reith
Berlin (dpa). Mit einer klaren Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten innerhalb der UN-Friedensmission für den Nahen Osten tut sich die schwarz-rote Bundesregierung nach wie vor schwer.

Nichts sei entschieden, alles sei noch offen und hänge von den tatsächlichen Bedingungen ab, hatte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg noch am Vormittag vor der Bundespressekonferenz in Berlin immer wieder beteuert. Und auch die am Nachmittag nach dem mehrstündigen Bayreuther Treffen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der engsten Koalitionsführung verbreitete Erklärung lässt entscheidende Fragen weiter offen: Kein Wort von deutschen Soldaten, Bundeswehr oder Bundespolizei. »Im Vordergrund stehen humanitäre Hilfsleistungen, Leistungen des Wiederaufbaus und Beiträge zur Sicherung der syrisch-libanesischen Grenze, insbesondere seeseitig«, heißt es darin.
Doch kaum jemand in Berlin kann sich vorstellen, dass es sich dabei lediglich um rein technische Hilfe bei der Grenzsicherung handelt - und nicht etwa um den ersten Einsatz von deutschen Marineschiffen im Nahen Osten. Steg hatte dazu noch am Vormittag versichert, Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) werde bei der Truppenstellerkonferenz heute Abend in New York lediglich die deutschen Möglichkeiten auflisten, über die im Bedarfsfall verfügt werden könne. Dies sei als »Hilfestellung« für die internationale Planung zur Umsetzung der UN-Sicherheitsresolution 1701 zu verstehen.
»Götterdämmerung« stand bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth an und genau aus diesem Grund urlaubt die Bundeskanzlerin derzeit in der malerischen Stadt. Doch bevor sich um 16.00 Uhr der Vorhang für die sechsstündige Wagner-Aufführung hob, hatte die Regierungschefin aus Berlin wichtige Gäste geladen. Im »Waldhotel Stein« fuhren SPD-Chef Kurt Beck, Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) und als letzter CSU-Chef Edmund Stoiber vor.
Seit Tagen gilt es in Berlin mehr oder weniger als offenes Geheimnis, dass sich die Bundesregierung im Grundsatz bereits für einen deutschen Militäreinsatz entschieden hat. Dabei war sich die CDU-Kanzlerin sicherlich mit SPD-Chef Beck schneller einig als mit ihrem Unionskollegen Stoiber, der signalisiert hatte, dass die CSU aus historischen Gründen keinem Kampfeinsatz deutscher Truppen in Südlibanon zustimmen werde.
Die Bundesregierung muss großen Wert darauf legen, dass ihre Pläne für eine Bundeswehr-Beteiligung im Bundestag eine breite Mehrheit finden. Deutsche Soldaten dürften nie in eine Situation gebracht werden, die eine Konfrontation mit israelischen Truppen auch nur theoretisch möglich machen würde, heißt es immer wieder aus dem Kanzleramt wie aus den Fraktionsspitzen.
Die Opposition, aber auch einige Abgeordnete von SPD und Union argwöhnen, hinter ihrem Rücken solle ein Einsatz perfekt gemacht werden, ohne dass zuvor die Fraktionen oder das Parlament mit entsprechendem Zeitvorlauf informiert wurden.
SPD-Chef Beck schwört seit Tagen die SPD-Führung auf den deutschen Bundeswehreinsatz ein. Um möglichst vom linken wie rechten Parteiflügel einzubinden, bereitet die Spitze jetzt für Freitag noch eine Art »Doppelbeschluss« vor. Darin wird unterstrichen, dass für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten neben militärischen, polizeilichen und humanitären Maßnahmen zugleich eine »politische Flankierung« erfolgen muss - mit massiver Aufbau- und Entwicklungshilfe, einer Geberkonferenz und einem Schuldenerlass für den Libanon.

Artikel vom 17.08.2006