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Richter: Justiz
hat versagt

Straftäter zu lasch angefasst

Von Uwe Koch
Bielefeld (WB). Ausgerechnet ein Bielefelder Amtsrichter hat der Justiz die Leviten gelesen: Staatsanwälte und Gerichte hätten jahrelang einen Straftäter gewähren lassen und »lediglich mit Wattebäuschchen geworfen«, wetterte gestern Amtsrichter Hermann Schulze-Niehoff. Er verurteilte einen 21-jährigen Kurden zu 15 Monaten Haft - erstmals ohne Bewährung.
Wettert gegen seine Amtskollegen: Richter Hermann Schulze-Niehoff.
Die zugrunde liegenden Straftaten bezeichnete Schulze-Niehoff in der Verhandlung vor dem Bielefelder Amtsgericht gestern als »Trauerspiel aus dem Multi-Kulti-Tollhaus«. Das war in den vergangenen Jahren passiert: Seit seinem 14. Lebensjahr ist der junge Jeside aus Ostanatolien in Deutschland wegen Gewaltdelikten aufgefallen. Gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, räuberische Erpressung oder Beleidigung ahndeten die Justizbehörden nur einmal mit einer Bewährungsstrafe. Sonst endeten die Verfahren gegen Emin A., der eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt, sämtlich mit Einstellungen.
Anfang dieses Jahres fiel der Jeside dreimal auf, als er grundlos drei jungen Männern am Bielefelder Hauptbahnhof die Funktelefone aus der Hand riss. Ein Opfer bekam obendrein Faustschläge ins Gesicht, als es die Polizei rufen wollte. »Wir werden die Öffentlichkeit in Zukunft vor Ihnen schützen«, drohte Schulze-Niehoff dem Angeklagten gestern unverhohlen, »Sie sind eine tickende Zeitbombe.«
Zwar musste das Gericht dem Angeklagten verminderte Schuldfähigkeit wegen seiner Drogensucht zubilligen, doch komme eine vom Angeklagten erhoffte Bewährungschance überhaupt nicht in Frage, sagte Hermann Schulze-Niehoff, der wegen zweier Diebstähle und eines Raubes insgesamt 15 Monate Haft verhängte. »Die Justiz hat versagt«, kritisierte der Richter. Der Täter werde zudem bestens versorgt: Emin A. ist derzeit in einem staatlichen Ausbildungsprogramm untergebracht und nimmt an einem Anti-Aggressions-Training teil. Schulze-Niehoff:
»Um die Opfer kümmert sich leider kein Sozialarbeiter. Die Konsequenz ist, dass die Gesellschaft immer lascher mit Gewalt umgeht.«
Die kommenden Verfahren mit dem Bielefelder Jesiden stehen übrigens schon bevor: Erst vor wenigen Wochen hatte der 21-Jährige seine deutsche »Verlobte« zusammengeprügelt und sich bei der Festnahme mit Polizeibeamten angelegt. Die junge Frau hat sich mit dem Täter schon wieder versöhnt und die Strafanzeige zurückgezogen.

Artikel vom 16.08.2006