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Grass darf Nobelpreis behalten

Stiftungsdirektor Michael Sohlman: »Die Vergabe ist endgültig«


Stockholm (dpa). Die schwedische Nobelstiftung hat eine Aberkennung des Literatur-Nobelpreises für Günter Grass (78) wegen dessen Mitgliedschaft in der Waffen-SS ausgeschlossen. Der Direktor der Stiftung, Michael Sohlman, sagte der Stockholmer Zeitung »Dagens Nyheter«: »Die Vergabe ist endgültig. Es ist auch noch nie vorgekommen, dass ein Preis wieder zurückgenommen wurde.« Grass hatte den Literatur-Nobelpreis 1999 von der Schwedischen Akademie zuerkannt bekommen.
Grass sagte gestern Abend in der ARD-Tagesschau, trotz aller Kritik stehe er zu seinem späten Bekenntnis. Dazu, dass er nicht schon viel früher über seine Vergangenheit in der Waffen-SS gesprochen habe, »muss ich stehen, und ich werde mir sicher noch lange diese Vorwürfe anhören können«. Der 78-Jährige verwies auf seine für den 1. September angekündigte Autobiografie »Beim Häuten der Zwiebel«: »In diesem Buch, da ist es Thema, und da steht alles, was ich zu der Sache zu sagen habe. Wer richten will, mag richten.«
Der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, Horace Engdahl, ließ aus dem Urlaub Anfragen zu möglichen Reaktionen auf das Eingeständnis von Grass zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS mit dem Satz beantworten: »Die Schwedische Akademie hat dazu nicht Stellung genommen und wird auch nicht Stellung nehmen.« In der Begründung für den Nobelpreis vor sieben Jahren hatte die Akademie Grass' literarischen Einsatz für eine offene Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands herausgehoben: »Hier nahm er sich der großen Aufgabe an, die Geschichte seiner Zeit dadurch zu revidieren, dass er das Verleugnete und Vergessene wieder heraufbeschwor: die Opfer, die Verlierer und die Lügen, die das Volk vergessen wollte, weil es einmal daran geglaubt hatte.«
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat mit scharfer Kritik auf das SS-Bekenntnis von Günter Grass reagiert. »Die Tatsache, dass dieses späte Geständnis so kurz vor der Veröffentlichung seines neuen Buches kommt, legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine PR-Maßnahme zur Vermarktung des Werkes handelt«, sagte die Präsidentin Charlotte Knobloch.
Günter Grass hat nach Recherchen des »Spiegel« seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS bereits als amerikanischer Kriegsgefangener eingeräumt. Demnach wurde Grass in der Entlassungsstelle der III. US Army als Lade-Schütze der 10. SS-Panzer-Division Frundsberg geführt.
l Das ZDF beschäftigt sich heute in einem »aspekte extra« (22.15 Uhr) mit dem »Fall Grass«.

Artikel vom 16.08.2006