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Heinrich Ostrop diente mit
Günter Grass in der Waffen-SS

Zwangsrekrutiert zur Division Frundsberg - Er verschwieg es nie

Von Elmar Ries
Münster (WB). Er ist drei Jahre älter als Günter Grass. Eingezogen zur Waffen-SS wurde auch er. Anders als der Literat hat der spätere Landstagsabgeordnete seine Vergangenheit in der Waffen-SS niemals verschwiegen.

Es ist nicht etwa das Schweigen, das er ihm vorwirft, sondern das Reden. Dass der Dichter gegen alles und jeden sein Wort erhob, sich selbst dabei aber geflissentlich übersah. Und nun? Nach dem - ja, was eigentlich, Bekenntnis, Geständnis? - des Literaturnobelpreisträgers: Ja, er habe der Waffen-SS angehört, selbstredend unfreiwillig, wirkt sein Moralisieren auf einmal moralinsauer. Findet Heinrich Ostrop. »Und all die Jahre hat sich der Herr in der warmen Brühe der Selbstgerechtigkeit gesuhlt und von dort aus gerichtet.«
Der Herr. Günter Grass.
Vielleicht sind sich beide schon einmal über den Weg gelaufen. Ende Õ44 oder Anfang Õ45. In Prag, in Frankreich oder in Polen. Als beide das Feldgrau der Waffen-SS trugen. Als beide der 10. SS-Panzerdivision Frundsberg angehörten.
Einige Parallelen gibt es in beider Leben. Der Literat und das Landtagsmitglied, das er mal war - fast gleich alt sind sie, beide schreiben; wenngleich der eine eher für den Hausgebrauch, ja, und beide Lebenslinien kamen sich bei der SS sehr nahe - ohne sich je berührt zu haben. »In der Division dienten zu meiner Zeit 15 000 Mann, die kannten sich natürlich nicht alle«, erklärt Ostrop.
Es gibt auch einen entscheidenden Unterschied. Auf den ist der 81 Jahre alte CDU-Politiker aus Münster stolz. Er sei als Soldat nicht mutig gewesen, sagt er. »Aber ich habe nie verhehlt, der Waffen-SS angehört zu haben.« Zwangsrekrutiert mit 18. Wie so viele. Er hat seinen Eltern 1943 einen Brief geschrieben. Verzweifelt teilt er ihnen darin mit, sich nicht dagegen haben wehren können, zur SS eingezogen worden zu sein. Den Brief hat er noch.
Heinrich Ostrop weiß, dass alle dies Nachgeborenen nur schwer zu vermitteln ist. Dass Menschen wie er schnell mit dem Rücken zur Wand stehen, weil sie sich kaum wehren können gegen das Totschlagargument, ein Nazi gewesen zu sein. Die SS ist seit den Prozessen von Nürnberg als verbrecherische Organisation eingestuft - ist da nicht jedes Mitglied automatisch ein Verbrecher? »Ich habe immer das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen«, sagt er. Das belastet ihn.
Bei aller Kritik: Der 81-Jährige ist Grass auch dankbar. Dafür, dass der mit seinem späten Eingeständnis eine Diskussion losgetreten hat, die Menschen wie Heinrich Ostrop eine letzte Chance gibt, zu erzählen - und zu erklären. »Meine Generation tritt bald ab. Durch diese Debatte sind wir noch einmal in den Zeugenstand berufen worden«, sagt er. Ihm ist das weder Lust noch Last, aber ein Bedürfnis.
Ostrop sagt, er fühle keine Scham und keine Schuld. Er ist ebenso wenig Opfer wie er ein Verführter ist. Er wurde zwangsrekrutiert und hat versucht, irgendwie am Leben zu bleiben. Er ist mit sich im Reinen. Auch wenn er auf andere Menschen geschossen hat, auch wenn er Dinge gesehen hat, die ihn bis heute nicht loslassen. Von denen er träumt. Immer wieder. »Ich bin katholisch sozialisiert. Mein Vater war Bauer in Olfen.« Der von Grass geschmähte katholische Mief: Ostrop ist stolz darauf.
1943, Ausbildung in Prag, Ostrop wird Panzerfahrer. Danach ist er in Frankreich, dann in Polen, später wieder in Frankreich. 1944 wird er verletzt, erlebt das Ende des Krieges nach etlichen Irrungen und Wirrungen in einem Lazarett im bayerischen Hof.
Dort trifft er auf Amerikaner. Sagt ihnen, er sei Mitglied der Waffen-SS. Unfreiwillig. Am Ende gehört er zu den ersten fünf von 15000 in Nürnberg festgehaltenen SS-Angehörigen, die nach Hause dürfen.Vielleicht war er mutiger, als er sagt. Vielleicht hatte er auch nur Angst zu lügen. Leitartikel
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Nobelpreis behalten

Artikel vom 16.08.2006