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Frühes Fanal der DDR-Bürgerrechtler

Vor 30 Jahren verbrannte sich Pfarrer Oskar Brüsewitz vor seiner Kirche

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). »Funkspruch an alle - Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an!« Ein selbstgemaltes Plakat und ein Brief waren das letzte Signal von Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich vor 30 Jahren in der DDR selbst verbrannte
Freitod vor seiner Kirche in Zeitz/DDR: Oskar Brüsewitz

»Er brachte sich selbst zum Opfer dar«, sagt Professor Harald Schultze, der ehemalige Beauftragte der Evangelischen Kirchen in Sachsen-Anhalt. Ein doppeltes Ziel habe der Kirchenmann mit seiner Aktion verfolgt. Er habe ein Fanal gesetzt, »um mit diesem Flammenzeichen zu protestieren gegen die atheistische Bildungspolitik der DDR. Partei und Regierung sollten zum Kurswechsel genötigt,Ê die Kirchenleitungen zu energischerem Handeln gedrängt werden.«
Neben der für DDR-Verhältnisse ungeheuren Kritik am Staat mit dem eingangs zitierten Plakat am Auto des Pfarrers gab es einen kurzen Abschiedsbrief. Darin beklagte Brüsewitz den »scheinbaren tiefen Frieden, der auch in die Christenheit eingedrungen ist, während zwischen Licht und Finsternis ein mächtiger Krieg tobt«.
Tatsächlich löste Brüsewitz mit dem Freitod am 18. August 1976 Bewegung aus. Die Tat beschäftigte das Zentralkomitee der SED, ohne dass vieles nach außen drang. Und: Leitungsgremien der Kirchen wurden ebenso aufgerüttelt wie Gemeinden und Dissidenten.
Unterschwellig kam es zu einer DDR-weiten Solidarisierung von Theologen, Gemeinden und kritischen Marxisten. Chronisten der Bürgerrechtsbewegung sehen in der Tat heute eine frühe Quelle wachsender, sich ihrer selbst bewusst werdender Opposition in der DDR. Staatliche Stellen reagierten wie gehabt: Brüsewitz wurde als Psychopath denunziert. Das zutiefst christliche Empfinden, wonach Selbsttötung Sünde ist, fand urplötzlich Eingang in die gelenkte Presse und Propaganda der DDR.
Richard Schröder, DDR-Theologe und später SPD-Bundespolitiker, schrieb noch im August 1976 einen Protestbrief an das Zentralorgan der SED, »Neues Deutschland«. Er kritisierte darin die »verleumderische Darstellung« der Tat vor der Michaelis-Kirche von Zeitz. Schröder wurde daraufhin von der Stasi vorgeladen. Ziemlich massiv bot man ihm »weitere Gespräche« an. Schröder konnte abblocken mit dem festen Grundsatz, er spreche nicht über Dritte, sondern werde seinen kirchlichen Vorgesetzten Meldung über diesen Anwerbeversuch machen.
In der Bundesrepublik, in Bad Oeynhausen, wurde ein »Brüsewitz-Zentrum« zur Dokumentation von Repressionen und Unterstützung der Opposition in der DDR gegründet.
Brüsewitz hatte 1951 die Schuhmachermeisterprüfung in Osnabrück abgelegt und 1954 in die DDR gegangen. Dort arbeitete er als selbständiger Handwerksmeister. Nach der Sozialisierung des Betriebs wurde er dessen Angestellter. 1964 meldete sich Brüsewitz zur Predigerschule in Erfurt an. 1970 hatte er sein höchstes Ziel erreicht und wurde Pfarrer in Rippicha, Kreis Zeitz.
Kleinere symbolische Protestaktionen brachten ihm schon bald Ärger mit den DDR-Behörden. 1976 verlangte der Staat von der Kirche die Versetzung des politisch unbequemen Pfarrers. Die regionale Kirchenleitung folgte der Staatsmacht und empfahl einen Stellenwechsel. Kurz danach folgte die Selbstverbrennung.
Kaum noch bekannt ist, dass es am 17. September 1978 einen zweiten Fall Brüsewitz gab. Im vogtländischen Falkenstein verbrannte sich der evangelische Pfarrer Rolf Günther in seiner Kirche.

Artikel vom 17.08.2006