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Frankfurter Allgemeine

»Ganz allein, tollkühn und clever, so sah er sich wohl: der Schriftsteller in der SS-Division 'Frundsberg'.«

Leitartikel
Geisterfahrer Günter Grass

Deutschland, Indien
und zurück


Von Rolf Dressler
Kann es sein, dass die überwältigende Mehrheit irgendetwas oder womöglich alles falsch versteht in der haarsträubenden Sache Günter G.?
Gestern stellte sich auch noch der Theaterregisseur Jürgen Flimm vor und hinter den unerbittlichen Scharfrichter und Chefdeuter im Literatengewand: Günter Grass, der schreibende Titan, verdiene jedwede Bewunderung dafür, dass er, still und stumm zwar, aber schambedrückt, sechs schmerzliche Jahrzehnte lang ganz für sich allein Bewältigungs- und »Trauerarbeit geleistet« habe, wie man sie sich von vielen anderen seiner Generation nur hätte wünschen mögen.
Was für eine verquere Sicht, welch eine beinahe schon obszöne Verdrehung spricht aus diesen Worten eines eigentlich doch lebensweisen Theatermannes, wie Jürgen Flimm es ist!
- Hat nicht gerade jener Günter Grass, selbstgewiss bis zur pe- netrant arroganten Überhebung, in all den Jahren seit der Stunde Null am 8. Mai 1945 Andersdenkende und Andersfühlende mit Häme überzogen, wann und wo immer er sich davon öffentliche Aufmerksamkeit versprach?
- War es neben vielen anderen Gleichgesinnten nicht vor allem auch Grass, der unablässig pauschal einforderte, dass praktisch das ganze deutsche Volk und jeder Einzelne ihre Verstrickung in die Verbrechen des Hitler-Regimes offenlegen und vor der Welt unumschränkt bekennen müssten?
Grass selbst hingegen hat die eigene Mitgliedschaft in der Waffen-SS unfassbare 61 Jahre lang nicht etwa »nur« geheimgehalten, verschwiegen oder vertuscht. Nein, schlimmer noch, er hat sei- nen wahren Lebenslauf krass gefälscht: angeblich armer, harmloser Flakhelfer statt Soldat der Waffen-SS. Seltsam genug, dass bis in unsere Tage hinein 61 Jahre lang keine Menschenseele, weder irgendein forschender Zeitgeschichtler noch ein einziger findiger Journalist, die Wahrheit über die monströse Kultfigur und Moral-Ikone Günter Grass zutage förderte (oder fördern wollte).
Nachgerade abenteuerlich wirken die Erinnerungstrübungen, hinter denen Grass sich jetzt allen Ernstes dreist zu verstecken versucht. Denn natürlich gab der Einberufungsbefehl klipp und klar an, wo er sich zwingend einzufinden hatte: bei der Waffen-SS und nicht etwa bei der Wehrmacht oder sonstwo.
Zu behaupten, er habe »vielleicht« und überhaupt erst (vor dem Kasernentor?) »in Dresden« bemerkt, wohin er da geraten sei, ist blanker Hohn. Nicht zuletzt auch bezogen auf hunderttausende Deutsche, die ebenfalls in den Waffendienst gezwungen wurden, als alles bereits verloren war.
Schließlich noch ein bizarres Irrlicht in der Vita des Günter Grass: die ätzende Schimpf-und-Schande-Kanonade gegen Deutschland und die (angeblich auf ewig unbelehrbaren) Deutschen, mit der er Mitte der 1980er Jahre Indien dröhnend zu seiner Wahl-Ersatzheimat erklärte - um schon nach wenigen Monaten eben hierher zurückzukehren.

Artikel vom 16.08.2006