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Ausland milde




Die Affäre um Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat in Europas Presse Beachtung gefunden - besonders im Osten.

»Nowaja Gaseta« Russland:
»Der außerordentlichen Reputation des Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass wird seine kurze Mitgliedschaft in der Waffen-SS in keiner Weise schaden. Zumal der zukünftige Klassiker der Weltliteratur am Ende des Krieges zu spät kam, um sich mit Blut zu beflecken.«

»Mlada fronta Dnes« Tschechien:
»Grass war in der Waffen-SS? Na und, werden einige sagen, der heutige Papst war in der Hitlerjugend. Nur hat Joseph Ratzinger dies nie verschwiegen. Und so erinnert der Fall Grass an die Affäre des Österreichers Kurt Waldheim, der im Zweiten Weltkrieg in Bosnien eine Einheit führte. Grass hat sich unerträglich spät bekannt.«

»Lidove noviny« aus Tschechien:
»Viele werden fragen, warum Grass sich erst jetzt zur Mitgliedschaft in der Waffen-SS bekennt. Aber wie waren denn damals die Aussichten eines 17-Jährigen, die Welt zu verstehen, die Grenzen der Nazi-Propaganda zu überwinden und eine reife Reflexion zu entwickeln?«

»Politika« aus Serbien:
»Mit seinem Bekenntnis fällt ein schwerer Schatten gerade auf die moralische Integrität eines Mannes, der immer und überall seine Stimme erhob und anderen Lektionen erteilte. Er hat, auf Grund der These vom »Verhindern der humanitären Katastrophe« im Kosovo, die Luftangriffe auf Jugoslawien befürwortet.«

»Neue Zürcher Zeitung«
»Wird das Werk - das wie kein anderes die deutsche Schuldverstrickung im Nationalsozialismus zu seinem unerschöpflichen Thema gemacht hat - von diesem späten Bekenntnis beschädigt? Nein, denn die Literatur folgt eigenen Gesetzen, und manches aus dem Frühwerk hat Bestand. (...) Das lange Schweigen und die inszenierte Form des Bekenntnisses lassen jedoch manche polemische Intervention noch nachträglich fragwürdig erscheinen.«

»Kurier« aus Österreich:
»Eines ist gewiss. Sein nächstes Buch, »Beim Häuten der Zwiebel« dürfte wieder ein Bestseller werden. Was skeptische Literaturkritiker wie Hellmuth Karasek vermuten lässt, dass auch »markttechnische« Gesichtspunkte zu diesem Outing geführt hätten. Das kann auch stimmen. Nun muss es halt »raus«. Wieso erst jetzt, zwanzig Jahre nach Waldheim. Darüber wird es Streit geben.«

»ABC« aus Spanien:
»Selbst bei größtem Wohlwollen stellt sich die Frage, weshalb Günter Grass mit seiner Enthüllung so lange gewartet hat. Da kommen einem sofort zwei mögliche Gründe in den Sinn, die beide nicht besonders vorbildlich sind. Erstens hätte Grass, wenn er früher gesungen hätte, höchstwahrscheinlich nicht den Nobelpreis bekommen. Zweitens könnte Grass sein Eingeständnis dazu benutzt haben, für seine Autobiografie zu werben.«

Artikel vom 15.08.2006