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19 Kommunen machen mobil

Klage gegen neues NRW-Gesetz eingereicht - »Es geht an die Substanz«

Borgholzhausen/Versmold (WB/lnw). Keine sanierte Kirche, kein Bürgerhaus, keine langen Öffnungszeiten des Freibads: Solche Szenarien treiben Klemens Keller, Bürgermeister der Stadt Borgholzhausen im Kreis Gütersloh, um.
Bürgermeister Klemens Keller: Wir wollen unsere Stadt am Leben erhalten.
Denn mit 200 000 Euro weniger muss er von nun an jährlich in seinem Stadtsäckel rechnen. »Es geht richtig an unsere Substanz«, sagt das Stadtoberhaupt.
Zusammen mit 19 Kommunen in Nordrhein-Westfalen, in Ostwestfalen-Lippe sind es neben Borgholzhausen auch Versmold, Halle, Harsewinkel, Rheda-Wiedenbrück, Steinhagen und Verl, ist er vor Gericht gezogen (diese Zeitung berichtete).
Unter Federführung Düsseldorfs wollen die Städte gegen ein neues Landesgesetz vorgehen, das die Berechnung der Lastenverteilung der Deutschen Einheit zwischen den Kommunen ändert und ein Loch in ihren Haushalt reißt. »Die sollen uns den Lebkuchen wegknabbern, aber nicht unsere Finanzen«, empört sich der 56 Jahre alte Bürgermeister. »Unsere Stadt soll leben.« Für das Gebäck ist Borgholzhausen weltbekannt. Neben der Lebkuchen-Fabrik gibt es dort auch Metall- und Kunststoffunternehmen. Als gewerbesteuerstark können sich daher die Ostwestfalen preisen: Knapp die Hälfte des städtischen Einkommens fließt über Abgaben der Wirtschaft in die Kasse. Nun wird den Borgholzhausenern wie auch weiteren Städten ihre »gute Gewerbepolitik« zum Verhängnis.
Bisher galt: Wer viel einnimmt, zahlt viel in den Solidarfonds für die neuen Länder. Bei der Berechnung wurde die gesamte Finanzkraft einer Kommune berücksichtigt - samt Gewerbe-, Grund-, Einkommens-, Umsatzsteuer und den Zuweisungen des Landes.
Nach dem neuen Landesgesetz gilt nur noch die Gewerbesteuer als Grundlage. »Das ist schlicht und ergreifend ungerecht. Wir gewerbesteuerstarken Städte zahlen überproportional viel in den Solidarfonds ein«, schimpft Keller.
Ähnliche Kritik kommt aus anderen wirtschaftsstarken Städten im Land. »Das ist ein willkürlicher Systemwechsel«, heißt es vom Bürgermeister der Wurstwaren-Stadt Versmold im Kreis Gütersloh, Thorsten Klute. Städte mit vielen reichen Bürgern und wenig Gewerbe müssten kaum etwas zahlen, obwohl sie womöglich eine höhere Finanzkraft hätten als Kommunen mit viel Gewerbe und wenig Einkommenssteuer.
Auch Düsseldorf rügt, wer gut wirtschafte, werde bestraft. Zudem befürchten die Gemeinden, dass mit steigenden Gewerbesteuereinnahmen der kommunale Anteil am Solidarbeitrag überschritten wird und das Land wegen fehlender Offenlegung der Abrechnung mit dem Rest seine Haushaltslöcher stopft.
Insgesamt 1,4 Millionen Euro hat Borgholzhausen in den vergangenen fünf Jahren vom Land zurückerhalten. Zu viel gezahlt wurde zunächst ein mittels der Gewerbesteuer errechneter Solidarbeitrag, der später mit sämtlichen Einnahmen verrechnet und erstattet wurde. »Die Verrechnung entfällt nun und mit ihr 200 000 Euro«, ärgert sich Keller.

Artikel vom 12.08.2006