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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr.Dr. Markus Jacobs


Der Name »Klara« ist im Augenblick wahrscheinlich ein Modename. Auf jeden Fall werden von Eltern sehr viele der neugeborenen Mädchen Klara, Clara, Chiara, Claire genannt. Es ist offensichtlich ein Name, der für unsere Ohren gut klingt. Das Lebenskonzept der ursprünglicheren Trägerin dieses Namens jedoch ist augenblicklich sicher keine Mode. Es ist eher eine Herausforderung, mit der es sich zu beschäftigen lohnt. Kennen sollte man es zumindest - und sich daran reiben!
Die verschiedenen Versionen dieses Namens haben seit vielen Jahrhunderten eine gemeinsame Quelle: Clara von Assisi. Diese Frau ist es, welche den Namen berühmt machte. Nach ihr benannten in den folgenden Generationen so viele Eltern ihre Töchter, dass sich in allen europäischen Sprachen eigene Versionen finden. Doch ihr Lebenskonzept war so anders, dass es heutigen Zeitgenossen völlig abwegig vorkommen muss.
Ihr Ideal war es, nichts zu benötigen - wirklich nichts! Sie war verliebt in die Armut. Sie erlebte Armut tatsächlich wie eine Liebesbeziehung, weil sie sich in einem solchen Leben ohne alle Zugaben Gott am unmittelbarsten verbunden fühlte.
Sie hatte dabei nicht aus der Not eine Tugend gemacht. Ursprünglich war sie sogar in einer sehr begüterten und mächtigen Adelsfamilie aufgewachsen. Ihr Elternhaus stand 1194 in Assisi. Sie war nicht zur Armut gezwungen worden. Sie hatte ihre Armut im Gegenteil gegen unendliche Widerstände durchzusetzen versucht. Diese Widerstände kamen am stärksten aus der eigenen Familie. Später hatte sie aber auch mit der Kirche zu ringen.
Mit 18 riss sie von zu Hause aus. Niemand aus ihrer Familie wollte ihr nämlich die Lebensform erlauben, von der sie träumte. Und auch ihr Vorbild und geistlicher Freund war in den Augen der Familienangehörigen und Altersgenossen einfach nur überdreht: Franziskus. Dieser Franz von Assisi hatte nämlich wenige Jahre vorher in ihrer Heimatstadt einen solchen Weg zum ersten Mal durchgekämpft. Der Vater, ein reicher Tuchhändler, meinte, ihn durch Enterbung strafen zu können. Franziskus dagegen hatte sich vor seinem Vater und dem Bischof in aller Öffentlichkeit nackt ausgezogen, dem reichen Tuchhändler dann die eigenen Kleider vor die Füße geworfen und ein Leben in Armut begonnen.
Clara hatte einfach Sätze Jesu wörtlich genommen wie: »Verkaufe alles, was du hast, und gib das Geld den Armen; dann folge mir nach.« Einen »Schatz im Himmel« würden sie haben. Der Kerngedanke war somit: Nicht durch Mehrung des Besitzes oder seinen Erhalt wirst du glücklich, sondern durch Freiheit von allem Besitz.
Eine solche Faustregel widerspricht sämtlichen Gesetzen des Kapitalismus, des Sozialismus und der sozialen Marktwirtschaft. Wachstum wollen sie nämlich alle - wenn auch verschieden verteilt. Kunstworte wie »Nullwachstum« werden von unserer Wirtschaft erfunden, um anzudeuten, wo es unbedingt lang gehen muss. Clara dagegen war überzeugt, durch Abgeben und Armut das Ziel des Lebens zu erreichen.
Sie wurde die Gründungsleiterin einer Ordensgemeinschaft. Alle Mitglieder haben nur ein Arbeitskleid und ein Festkleid - aber sie gehören nicht ihnen. Alle verzichten auf sämtlichen Besitz. Selbst die Häuser sind von Menschen außerhalb zur Verfügung gestellt. Sie bauen im Garten Gemüse an, der Rest des Essens ist geschenkt. Als Gegenleistung beten diese Frauen.
Diese Lebensform empfanden sie als »Privileg«. Es war schwer, dieses Privileg gewährt zu bekommen. Denn selbst den Verantwortlichen der Kirche war dieses Fehlen jeglicher wirtschaftlicher Basis suspekt. Aber nach Jahren des Ringens gewährte der Papst das »Armutsprivileg«. Niemand dürfe diese Ordensfrauen zwingen, irgendeinen Besitz anzunehmen, ordnete er an.
Clara starb am 11. August 1253; in diesen Tagen jährt sich ihr Todestag. Bis zu ihrem Tod waren auch zwei ihrer Schwestern und sogar ihre Mutter in diese Gemeinschaft eingetreten. Die Armut wirkte offensichtlich anziehend - Menschen mit diesem »Schatz im Himmel« haben auf andere glücklich gewirkt.
Ihre Gemeinschaft und ihre Klöster vermehrten sich schnell und bestehen bis heute. Bis heute bieten sie uns die gleiche geistliche Reibungsfläche wie den Menschen damals.

Artikel vom 12.08.2006