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Der utopische Titel-Triumph

Deutschlands erster Marathon-EM-Sieg: Ulrike Maisch denkt schon an Peking

Göteborg (dpa). Als Ulrike Maisch ins Stadion lief, musste sie fast heulen. Schon vor dem Ziel riss die 29-jährige Rostockerin nach ihrem Sensationslauf zu EM-Gold im Marathon in der persönlichen Bestzeit von 2:30:01 Stunden beide Arme überglücklich in die Höhe.

Dann schnappte sie sich die deutsche Fahne, die ihr die Diskus-Weltmeisterin Franka Dietzsch schon vor der letzten Runde reichen wollte, und drehte im Ullevi-Stadion eine Ehrenrunde. »Dieser Titel ist so utopisch, das ist der absolute Wahnsinn. Ich kann es noch nicht glauben, was ich hier geschafft habe«, sagte die Studentin der Erziehungswissenschaften und Sprachen.
Die EM-Achte von 2002 hatte in ihrem achten beendeten Marathon alles richtig gemacht. Als sie merkte, dass die Spitzengruppe zu schnell unterwegs war, lief sie ihr eigenes Rennen und rollte das Feld von hinten auf. Über drei Minuten war sie auf dem zweiten Teilstück schneller, machte mit diesem Steigerungslauf innerhalb von fünf Kilometern 41 Sekunden auf Spitzenreiterin Irina Permitina (Russland) wett. »Das Rennen und der Kurs mit ein paar Bergen waren wie für mich gestrickt. Es passte alles.«
Die Rostockerin hatte darauf gehofft, das die Spitze das Tempo nicht halten kann. »Wen du überholst, der kommt nicht wieder. Vierte wollte ich aber auch nicht werden, plötzlich war ich Dritte und sehr zufrieden über eine Medaille. Dann hatte ich die Erste eingeholt und fühlte mich noch ziemlich stark«, sagte Ulrika Maisch. Nach nur einer Stunde Schlaf war sie immer noch fassungslos, obwohl sie schon um Mitternacht im Bett lag. Mutter Jutta, die mit Bruder Sebastian im Stadion war, erzählte allen Leuten um sich herum stolz: »Das ist meine Tochter.« Trainer Klaus-Peter Weippert muss sich nach einer Wette sogar einen orange-blauen Irokesenschnitt verpassen lassen.
Nach dem ersten deutschen EM-Gold über die klassische Stecke von 42,195 km würde die Mecklenburgerin im Herbst gerne noch einen Marathon unter 2:30 Stunden laufen - New York hat schon Interesse bekundet. Aber die Europameisterin bleibt realistisch. Sie weiß, dass es bei den Marathon-Klassikern, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen mit Japanerinnen und Afrikanerinnen sehr schwer wird. Trotzdem hofft sie, aus dem Erfolg »Geld rausschlagen« zu können. Dafür hat sie extra eine Studienauszeit bis 2008 genommen.
Ulrike Maisch lebte nach dem Abitur zwei Jahre in den USA, wo sie keine Lust zum Laufen hatte und acht bis zehn Kilo zunahm. Nach ihrer Rückkehr wurde sie 1999 Juniorenmeisterin im Halbmarathon - und fing wieder Feuer. Ihren ersten Marathon bewältigte sie im Jahr 2000 in Berlin. Nach EM-Rang acht 2002 in München und dem 20. Platz zur WM 2003 in Paris gab es eine Durststrecke: Beschwerden in der Ferse, die eine Operation notwendig machten, zwangen sie bei den Olympischen Spielen in Athen zur Aufgabe. »Das hat sehr weh getan.«
Schmerzen von vorgestern, jetzt überwiegt nur noch die Freude: In Rostock soll es einen großen Empfang geben, den Stadt und ihr Verein ausrichten. Ulrich Maisch verfolgte die Bravourleistung vor dem Fernseher. »Als sie das Tempo plötzlich nicht mehr mitlaufen konnte und abreißen lassen musste, habe ich erst einmal umgeschaltet«, erzählte er. »Als ich wieder zurückgeschaltet habe, war sie plötzlich schon Vierte. Und ich bekam sofort Schweißhände. Dann war alles nur noch ein Traum.«
Er freut sich auf das Wiedersehen, doch ein Sieger-Dinner wird er nicht vorbereiten: »Das kann ich nicht. Ulrike liebt Obst und Joghurt aus dem Glas. Und das bekommt sie dann natürlich.«

Artikel vom 14.08.2006