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»Faire und transparente Entscheidungen« -ÊDr. Klaus Reinhardt, Facharzt für Allgemeinmedzin und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Foto: Krehmeier

»Komfort« ist keine Leistung
der gesetzlichen Krankenkasse

Ausgaben für Analoginsulina werden für Typ II-Diabetiker nicht mehr erstattet

Von Gabriele Krehmeier
Bielefeld (WB). »Die Debatte ist beispielhaft für die Gesamtdebatte, die wir derzeit im Gesundheitssystem haben«, sagt Dr. Klaus Reinhardt, Facharzt für Allgemeinmedizin und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Diskutiert wird die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Krankenkassen, Ärzte und Patientenvertreter, dass die so genannten Insulinanaloga durch die gesetzlichen Kassen nicht mehr erstattet werden.

Der Ausschuss schloss sich damit dem Vorschlag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) an, der alle verfügbaren Studien geprüft hatte und für die Analoginsulina zu einer negativen Bewertung gekommen war. Analoginsulina werden auch als Insuline der dritten Generation bezeichnet. Die erste Generation der Insuline wurde aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen gewonnen. In der zweiten Generation wurde das Insulin dann synthetisch nachgebaut. Damit entstand das Humaninsulin - das übrigens ein gelungenes Beispiel für die Gentechnik ist.
In der dritten Generation, bei den Analoginsulina, wurden spezielle Aminosäuren des Insulins so verändert, dass eine schnellere und kürzere »Anflutung«Êdes Insulins im Blut erfolgt. Diabetiker schätzen diese schnelle »Anflutzeit«, da nun unmittelbar nach der Spritze eine Mahlzeit verzehrt werden kann und nicht wie beim Humaninsulin zwischen Injektion und Essen eine halbe Stunde vergehen muss. Gegen die Nicht-Erstattungsfähigkeit dieser Analoginsulina laufen Patientenvertreter, Patienten und Pharmakonzerne jetzt Sturm und sprechen von einer »Rückkehr in die Vergangenheit«.
»Weit überzogen, verzerrt dargestellt«, befindet Dr. Klaus Reinhardt, »und nicht den Tatsachen entsprechend.« Analoginsulina seien sehr wohl noch erstattungsfähig, aber nur noch für bestimmte Patientengruppen. All' jene Diabetiker, die eine intensivierte Therapie benötigen, also die Typ I-Diabetiker, bei denen die Bauchspeicheldrüse die Fähigkeit verloren hat, eigenes Insulin herzustellen, erhalten weiter Insulinanaloga. Bei dieser Patientengruppe verbessert sich erwiesenermaßen durch den Einsatz der Analoga objektiv die Stoffwechsellage, subjektiv beim Patienten dadurch das Befinden und der Patient hat zudem den Komfortvorteil der kürzeren Spritzabstände zwischen Injektion und Mahlzeit. »Und ein Patient, der eine optimale Stoffwechseleinstellung hat, bei dem treten natürlich später oder seltener Spätschäden auf«, erklärt der Facharzt.
Graduell anders ist die Lage bei der Gruppe der Typ II-Diabetiker. »Das sind diejenigen, die zu gut gelebt haben«, sagt Dr. Reinhardt, »zu viel gegessen, zu wenig bewegt.« Bei diesen Patienten ist die Bauchspeicheldrüse noch in der Lage eigenständig Insulin zu produzieren, allerdings nicht mehr in ausreichendem Maß. Ein positiver Einfluss der Insulinanaloga auf die Stoffwechsellage und die subjektive Verbesserung der Lebensqualität der Patienten wird auch hier in vielen Fällen beobachtet. Eine Verhinderung von Spätschäden beim Typ II-Diabetiker ist - nach den Erkenntnissen des IQWiG -Êallerdings nicht ausreichend wissenschaftlich und zweifelsfrei durch Studien belegt. Ein Komfort-Spritzvorteil allein reiche nicht aus, um den Einsatz dieser teureren Medikamente -Êim Vergleich zum Humaninsulin -Êzu rechtfertigen.
»Die Erkenntnisse des IQWiG und der ärztlichen Kollegen in der Praxis stellen sich teilweise unterschiedlich dar«, räumt der Mediziner ein, »aber das IQWiG ist nun einmal eingesetzt als Instrument, um Ordnung in eine verfahrene Situation -Êin der Industrieinteressen von objektivem Nutzen oft nicht sicher abgrenzbar sind -Êzu bringen.« Und das sei auch sinnvoll. »Durch das IQWiG sollen Leistungen im Gesundheitssystem unabhängig geprüft und standardisiert werden. Dieses Verfahren ist dann für die Öffentlichkeit klar und nachvollziehbar.«
Auch wenn das beim Einzelnen auf Unverständnis stoße, so müsse man doch sehen, dass es höchste Zeit sei, medizinisch notwendige von wünschenswerten Komfort-Maßnahmen zu trennen. »Das Problem ist«, sagt Klaus Reinhardt, »dass die Gesellschaft immer mehr Komfort will, sich aber auf der anderen Seite nicht klarmacht, dass dieser Komfort auch durch Beitragserhöhungen bezahlt werden muss. Oder es muss eben eingespart werden.«Ê
Zum Beispiel bei Medikamenten, deren Wirksamkeit nicht bewiesen ist. Und solange für den Typ II-Diabetiker keine Studien vorliegen, die eine sichere Vermeidung von Spätschäden zeigen, werden die Analoginsulina von den gesetzlichen Kassen nicht mehr bezahlt, sondern nur das Humaninsulin. »Es ist eine transparente und faire Entscheidung und damit besser, als Willkürlichkeit und Ermessensentscheidungen«, betont der Vizepräsident der Ärztekammer.
Für Privatversicherte gilt diese Regelung nicht, das heißt, unabhängig vom Diabetes-Typ übernehmen die Kassen hier die Kosten für Insulinanaloga. »Das wird sich möglicherweise in der Zukunft ändern«, gibt Dr. Reinhardt einen Ausblick, »aber die Entscheidungen des IQWiG sind nicht ohne Einfluss auch auf die Privatversicherer.«

Artikel vom 18.08.2006