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Manche »Schlafmütze«
ist ernsthaft erkrankt

Im Bielefelder Schlaflabor werden Narkolepsie-Patienten behandelt

Von Daniela Rahn
Bielefeld (WB). Menschen, die nachts schlecht schlafen, kennt er viele. Das allein ist noch kein Grund, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Prof. Dr. Peter Clarenbach, Chefarzt der Neurologie im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld, Johannesstift, interessiert sich vor allem dann für Menschen mit Störungen im Schlaf-Wach-Rhythmus, wenn durch den Verlust an gesundem Schlaf auch ihr Tageserleben massiv beeinträchtigt ist und die Leistungsfähigkeit nachlässt. Narkolepsie ist eine Krankheit, die so etwas anrichten kann.

In Deutschland leiden Schätzungen der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft (DNG) zufolge etwa 40 000 Menschen unter dieser vererbbaren Erkrankung. Auch Kinder sind betroffen. Auf 50 Apnoiker, das sind Menschen, die nachts unter bis zu 90 Sekunden langen Atemaussetzern leiden, kommt im Evangelischen Krankenhaus etwa ein Narkolepsie-Patient.
Peter Clarenbach, in Sachen Schlafforschung ein Mann der ersten Stunde, kennt die Odyssee, die Patienten oftmals jahrelang und ergebnislos von einem Arzt zum nächsten führt, bis die Diagnose Narkolepsie dann endlich gestellt wird. Endlich deshalb, weil es für Patienten trotz aller Härte eine Entlastung ist, wenn sie wissen, dass eine ernsthafte Krankheit sie plagt -Êund sie sich nicht länger als Simulanten, Schlafmützen oder Faulpelze anfeinden lassen müssen.
Doch was genau ist eigentlich Narkolepsie? Es handelt sich dabei um eine Schlafstörung, der eine neurologische Erkrankung des Schlaf-Wach-Rhythmus' zu Grunde liegt, die sich bevorzugt durch einen starken Schlafdrang, manchmal auch in einem Schlafzwang äußert.
»Beim Schlafzwang werden die Patienten regelrecht übermannt und können meist nur wenige Sekunden widerstehen, ehe sie an Ort und Stelle für Sekunden oder Minuten einschlafen«, erklärt Clarenbach. »Passiert es, während man mit dem Auto in der Stadt unterwegs ist, kann man vielleicht noch rechts an den Straßenrand fahren. Bei hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn ist das schon schwieriger«, bedeutet der Neurologe das Gefahrenpotenzial dieser Krankheit.
Neben dem Schlafzwang zeigt sich Narkolepsie auch durch sogenannte Kataplexien: Das sind vorübergehende Muskelerschlaffungen bei wachem Bewusstsein, ausgelöst zumeist durch starke Emotionen wie Freude, Lachen, Begeisterung oder Ärger. Der Patient bekommt im wahrsten Wortsinn weiche Knie, fällt in sich zusammen, lässt den Kopf hängen, spricht undeutlich oder fängt plötzlich an zu schielen.
Die Schlaflähmung ist ein weiteres Erscheinungsbild der Narkolepsie: Beim Aufwachen unterliegt die Muskulatur des Betroffenen der traumschlaftypischen Kontrolllosigkeit, obwohl er nicht schläft. Willentliches Aufwachen und Aufstehen sind kaum möglich, subjektiv empfinden die Patienten durch die Lähmung sogar Atembeschwerden.
Ebenfalls eine Ausprägung der Narkolepsie sind bizarre Wahrnehmungen während des Einschlafens. Wach- und Traumvorstellungen vermischen sich, Patienten leiden unter Halluzinationen und angsterfüllten Träumen.
Im Schlaflabor des Johannesstifts werden Patienten, bei denen ein Verdacht auf Narkolepsie besteht, eingehend untersucht. »Man weiß, dass es sich um eine Art Webfehler in der Schlaf-Wach-Regulation handelt«, erklärt Clarenbach. »Die genaue Ursache ist noch nicht bekannt. Wir wissen aber, dass Narkolepsie-Patienten im Gehirn der Überträgerstoff Orexin fehlt. Orexin ist auch für die Regulierung des Appetits verantwortlich. Patienten neigen deshalb häufig zu Übergewicht.«
Bislang ist Narkolepsie nicht heilbar. Weder gibt es ein Medikament, das die Krankheit besiegt, noch eine Operation, die das Übel beheben könnte. Allerdings lassen sich Patienten - je nach Schwere und Ausprägung der Narkolepsie - medikamentös so einstellen, dass Symptome gelindert werden und ein nahezu »normales« Leben für die meisten möglich ist.
Außer Medikamenten gehört aber auch eine sorgfältige Schlafhygiene zur Therapie. Das heißt: Schlafgewohnheiten müssen strukturiert werden, Patienten brauchen regelmäßige Ruhezeiten mittags und in der Nacht.
Um Betroffenen jahrelanges Leid zu ersparen, rät Peter Clarenbach zur erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber Mitmenschen, die offenkundig ein Schlaf-Wach-Problem haben: »Wenn der Tag nicht mehr regelbar ist, wenn zu nächtlicher Schlaflosigkeit und Schläfrigkeit am Tag ein anhaltendes Leistungstief kommt, dann sollte der Weg direkt zu einem Neurologen führen.«
Weitere Informationen zum Thema erhalten Interessierte auch bei der DNG.
www.dng-ev.de

Artikel vom 18.08.2006