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Skudden erhalten die Landschaft

Ortrun und Andreas Humpert züchten vom Aussterben bedrohte Schafrassen

Von Bernhard Hertlein
Marienmünster (WB). Mit ihrer prächtigen blonden Mähne passt sie gut ins Löwendorf. Und man kann sicher sein: Nicht lammfromm, sondern wie eine Löwin wird sie für ihre Schafe kämpfen, sollte es eines Tages darauf ankommen.

Landwirtschaft, Erhaltung seltener Haustierrassen, Landschaftsschutz: Ortrun Humpert, die in Löwendorf, einem Ortsteil von Marienmünster im Kreis Höxter, gemeinsam mit ihrem Mann Andreas eine Schäferei betreibt, fühlt sich allen drei Zielen gleichermaßen verpflichtet.
Eigentlich stammt sie aus Hannover. Als junges Mädchen begeisterte sich die Tochter eines Maschinenbau-Ingenieurs und einer Arzthelferin mehr für Hunde, Pferde - und Frösche. Das erste Schaf bekam sie 1986 zum Geburtstag. Da hatte sie schon ein Pädagogik-Studium hinter sich und entschieden, dass Erwachsenenbildung doch nicht das richtige Metier für sie ist. Deshalb war sie 1985 in das alte Bauernhaus in Löwendorf gezogen.
Es war nicht irgendein Tier, das Ortrun nun geschenkt wurde, sondern eine Skudde: kleiner, leichter und genügsamer als die meisten anderen Schafe. Damals war es akut vom Aussterben bedroht. Nur noch etwa 400 lebten von dieser Rasse in Deutschland. Andere brachten beim Schlachten mehr Fleisch, und ihre Wolle war leichter zu verarbeiten. Doch Ortruns Liebe gehörte Amanda, ihrer ersten Skudde. Sie sollte nicht allein bleiben. Heute gehören zu diesem Teil der Humpertschen Schafherde mehr als 500 Tiere. »Und mit insgesamt 5000 Tieren hat die Rasse in Deutschland auch wieder bessere Überlebenschancen«, freut sich die Schäferin, die sich als Besitzerin eines »Arche«-Hofs auch in der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen engagiert.
Es passt zu Ortrun Humpert, dass sie die Prüfung als Schäferin erst 1996 ablegte - gemeinsam mit ihrem Mann und mit Bestnoten. Das meiste hatte sie sich im Verlauf der Jahre selbst beigebracht, durch Lektüre und vor allem durch ganz genaues Beobachten. Auch Andreas Humpert hatte, bevor er seine Frau kennen lernte, das Herz schon an Schafe verloren. In diesem Fall waren es Moorschnucken. Das sind weiße hornlose Heidschnucken. Etwa 9500 leben von der bedrohten Haustierart in Deutschland, davon knapp 300 in Löwendorf. Die dritte Rasse sind weiße gehörnte Moorschnucken. Von ihnen, die vor allem im Oldenburger Land zu Hause sind, leben in der Schäferei Humpert circa 20. Deutschlandweit stagniert die Population bei 1250.
Sich aus idealistischen Gründen für die Vielfalt und damit für den Erhalt alter Rassen einzusetzen ist eine Sache. Doch die Skudden und Schnucken brauchen eine Aufgabe. Ortrun Humpert fand diese in der Landschaftspflege. Auch feuchter Kalkmagerrasen oder gar zu renaturierende Moorflächen wuchern allmählich zu, wenn die Schafe nicht den aufkeimenden Weißdorn, Schlehen oder andere Gehölze »verbeißen«. Da die alten Rassen nicht so schwer sind, verdichten sie den Boden nicht so wie größere Schafe oder gar Pferde.
Die Schafe aus dem Löwendorf grasen inzwischen unter anderem im Naturschutzgebiet Räuschenberg, im Feuchtgebiet Berenbruch bei Fürstenau und auf dem Rhumberg bei Ovenhausen. Dort wachsen Orchideen und Enziane. Eine Schäferin wie Ortrun Humpert achtet darauf, dass die Tiere keine Pflanzen wegfressen, die besonders gern von seltenen Vögeln, Schmetterlingen und anderen Tieren aufgesucht werden.
Die Schäferin macht kein Hehl daraus, dass sie auch auf die Beiträge aus der Landschaftspflege angewiesen ist. Hier ist die gegenwärtige NRW-Landesregierung allerdings fleißig dabei, die Gelder zu kürzen.
Was die Wolle betrifft, so schützen sich die Skudden durch ein Geflecht von drei bis fünf Faserarten vor Kälte und Nässe. Für die Industrie ist die Wolle damit nicht gut zu handhaben. Ein bisschen kommt bei der Teppichfertigung, zum Filzen und als ökologisches Dämmmaterial zum Einsatz. Große Mengen müssen allerdings auch entsorgt werden.
Das meiste Lammfleisch, das hierzulande zum Verkauf kommt, statt aus Neuseeland. Das Fleisch der kleinen Heiderassen ist fettarm, grobfaserig und dunkel - fast wie Rehfleisch. Humpert, von »Bioland« zertifiziert, vermarktet es ausschließlich ab Hof an Privatkunden und gute Gastronomie.
Hinzu kommen noch die Einnahmen aus der Zucht. Häufig kommen Besuchergruppen und Schulklassen nach Löwendorf. Selbst Dorfkinder kommen hier oft erstmals dazu, ein Lamm zu streicheln. Fasziniert lauschen sie, was Ortrun Humpert erzählt. Alles greift ineinander und ist voneinander abhängig - eine Tatsache, die Naturfremden, und dazu gehören auch oft Behördenvertreter, oft nicht bewusst ist. So kommt es auch, dass Wanderschäfer in Deutschland immer seltener werden. Früher zogen sie oft von Westfalen bis nach Paris. Heute stoßen sie dauernd an Grenzen: viel befahrene Straßen, Flächen, die nicht betreten werden dürfen und an bürokratische Hemmnisse. Dazu gehören demnächst auch die teuren elektronischen Ohrmarken, die von 2008 an in der EU Pflicht werden.
Oder die Anleinpflicht für Hunde. Liebe Zeitgenossen glaubten, einen Schäfer auf diese Vorschrift aufmerksam machen zu müssen, als er durch ihr Dorf zog. Tatsächlich nahm er daraufhin seine Aufpasser an die Leine. »Der Effekt war, dass die Herde sofort ausgeströmt ist und es sich in den Vorgärten gut gehen ließ«, erzählt Ortrud Humpert. Man sieht ihr die Schadenfreude über diese Niederlage der Besserwisser deutlich an.

Artikel vom 09.08.2006