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Für viele ist die CDU nicht mehr die Partei, die sie bei der Bundestagswahl gewählt haben.

Leitartikel
Die CDU 2006

Staat oder
Markt - was
soll's sein?


Von Ulrich Windolph
Wohin des Weges, CDU 2006? Mit dem Sinken der Umfragewerte steigt die Nervosität insbesondere in der Führungsriege der Partei. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vermisst »soziales Profil«, der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm beklagt, der Wähler wisse nicht mehr, für welchen Kurs seine Partei stehe.
An der Kritik beider Landespolitiker macht sich der seit der Bundestagswahl ungeklärte Richtungsstreit der Christdemokraten fest. Wie viel Markt verträgt der Wähler und: Wie viel Markt verträgt die CDU?
Vor dem Urnengang am 18. September 2005 schienen sich Merkels Truppen der Antwort sicher zu sein. Sie lautete: »eine Menge«. Tiefgreifende Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen, dazu ein revolutionäres Steuermodell: Die Union wollte viel.
Das Ende ist bekannt. Erst gab es im Gefühl des sicheren Sieges eine Reihe vermeidbarer Fehler im eigenen Lager, dann kam ein letztmals in Höchstform auftrumpfender Gerhard Schröder hinzu, und schon war ein ernüchterndes Wahlergebnis perfekt.
Dieser Schock wirkt bis heute nach. Für Rüttgers bleiben die 35,2 Prozent bis heute der Beweis, dass es für die Union nur mit »Neoliberalismus« und ohne »soziale Gerechtigkeit« nicht gehen kann - ohne, dass beide Begriffe je exakt definiert worden wären.
Mit Schönbohm ließe sich aber auch argumentieren, die jüngsten Umfragewerte seien nicht als Quittung für zu viel, sondern für zu wenig Markt zu deuten. Wer im Herbst 2005 zum ersten Mal sein Kreuzchen bei der CDU gemacht hat, wird sich gut überlegen, ob er es noch einmal tut. Denn Schönbohm hat zumindest in einem Punkt unbestreitbar recht: »Für viele ist die CDU nicht mehr die Partei, die sie bei der Bundestagswahl gewählt haben.«
Sicher, Maximalforderungen sind mit der SPD nicht durchzusetzen. Eine Koalition verlangt Kompromisse. Die Frage ist nur, wer davon mehr profitiert. Wenn die Union Rüttgers folgt, muss sie wissen, dass sie den Trampelpfad der Sozialdemokraten benutzt. Hier ist die SPD das Original, die Union im besten Fall eine gute Kopie. Die schwierige Kunst für die CDU besteht darin, als führende Regierungspartei das Tagesgeschäft zu meistern, gleichzeitig jedoch das politische Profil zu schärfen.
Spätestens das für Ende 2007 angekündigte Grundsatzprogramm muss Klarheit bringen.
Sicher, als Volkspartei muss die CDU Wahlen gewinnen - auf allen Ebenen, möglichst oft. Deshalb ist es wie ein Reflex: Sinkende Umfragewerte rufen sofort die Mahner auf den Plan. Doch keine Partei sollte so von den Verführungskünsten der Demographie geheilt sein wie die Christdemokraten. Auch das ist ein Ergebnis der Bundestagswahl 2005. Wenn die Unionspolitiker aber den Umfragen glauben, sollten sie sie auch bis zum Ende lesen. Hätten die Bundesbürger jetzt wieder die Wahl, ginge es genauso aus wie im Herbst 2005. Das kann niemand in der CDU wollen.

Artikel vom 09.08.2006