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Für den klaren Blick: »Frau Doktor« putzt die Scheibe

Ärztestreik in Bielefeld gestern mit humoriger Note

Von Gerhard Hülsegge
(Text und Fotos)
Bielefeld (WB). Mit zum Teil unkonventionellen Mitteln haben rund 150 der im Marburger Bund organisierten Ärztinnen und Ärzte der städtischen Kliniken Bielefeld-Mitte und Rosenhöhe auch gestern ihren Streik für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen fortgesetzt. Die einen putzten auf dem Jahnplatz die Windschutzscheiben fremder Pkw und hielten eine »Teddy-Sprechstunde« ab. Die anderen zogen demonstrierend durch Brackwedes Hauptstraße.

Nachdem die Ärztegewerkschaft Ostwestfalen-Lippe zum Zentrum ihres seit sechs Wochen andauernden Streiks auserkoren hat, ist es für die Beteiligten mit Plakaten und Trillerpfeifen nicht mehr getan. Vielmehr ist man bestrebt, auch mit ungewöhnlichen Aktionen um Sympathie und Unterstützung in der Öffentlichkeit zu werben. So griffen Dr. Stefanie Vielhauer, Gynäkologin in der Klinik Mitte, Dr. Martina Störmer aus der Abteilung Frauenheilkunde und Dr. Ursel Elmendorf von der Notaufnahme zu Eimer, Wasser und Gummiflitsche. Wechselte die Ampel von Grün auf Rot, flitzten die »Weißkittel« vom Jahnplatz auf die Fahrbahn am Oberntorwall, um den Autofahrern neben Flugblättern (mit Comics zum Streikgrund) ihre Reinigungsdienste anzubieten.
»Mit Hygiene kennen wir uns ja aus«, scherzten sie. Und mussten sich neben vielen freundlichen und zustimmenden Kommentaren (»Es ist gut, dass Sie streiken, vielen Dank für den kostenlosen Service«) auch kritische Worte (»Sie haben keine Vorstellung von Ethik«) anhören. Das Gros der Autofahrer nahm die Aktion »Wir sorgen für den Durchblick« überrascht, aber nicht ablehnend zur Kenntnis. Für längere Gespräche blieb ohnehin keine Zeit, dann sprang die Ampel von Rot schon wieder auf Grün.
Auf dem Jahnplatz hielten die streikenden Mediziner neben einem Infostand zur Unterschriftensammlung eine »Teddy-Sprechstunde« ab. Kinder, deren »Liebling« Bein oder Arm verloren hatte, durften Hilfe erwarten. »Schließlich haben wir Unfallchirurgen und Orthopäden dabei«, meinte Dr. Ute Kelkenberg (33), in der Klinik Mitte ansonsten mit Frauenheilkunde beschäftigt. Mehr als die Hälfte der 250 Ärztinnen und Ärzte der Städtischen Kliniken befanden sich auch gestern im Ausstand. Für Schwangere, Krebs- und Herzpatienten sowie andere Notfälle ist ein Notdienst eingerichtet. Operationen, so weit sie nicht lebensnotwendig sind, werden indes vorerst auch weiterhin nicht durchgeführt.

Artikel vom 09.08.2006