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Tapeten machten die
Säle zum Kunstwerk

Corvey und Kassel zeigen die »Kleider« an der Wand

Von Dietmar Kemper
Höxter/Kassel (WB). Tapeten waren vom 17. bis 19. Jahrhundert keine bloße Wandverkleidung, sondern Prestigeobjekte und Ausdruck von Gelehrsamkeit. Ihre Geschichte erzählen das Schloß Corvey in Höxter und das Deutsche Tapetenmuseum in Kassel.

Die Paderborner Kunst-Professorin Jutta Ströter-Bender hat die Tapeten in den Räumen der Fürstlichen Bibliothek und der Landgräflichen Salons von Schloß Corvey fotografiert. Sie stammen aus den Jahren 1825 bis 1833, also aus der Biedermeierzeit, und beeindrucken durch Farbigkeit, Motivvielfalt und die Raumwirkung. Die blau-weiße Draperietapete im Blauen Salon, die einen gestreiften Seidenstoff imitiert und Bordüren mit antiken Erzählungen enthält, gilt als eine der schönsten ihrer Epoche. Sie stammt von der Manufaktur Dufour in Paris, einer der feinsten Adressen der Zeit.
Adel, Klerus und wohlhabendes Bürgertum hätten »Räume als Gesamtkunstwerk inszeniert«, sagte die Kunsthistorikerin im Deutschen Tapetenmuseum in Kassel, Caroline Eva Gerner, gestern dieser Zeitung. Bereits in den Höhlenmalereien zeige sich das menschliche Ur-Bedürfnis, die Wände zu schmücken. Das Museum zeigt Tapeten aus fünf Jahrhunderten - nicht immer sind sie aus Papier. »Sachsens König August der Starke ließ 36 Räume im Schloß Moritzburg bei Dresden mit Goldledertapeten auskleiden«, berichtet Gerner.
Der luxuriösen Wandverkleidung widmet Kassel vom 7. Dezember bis zum 25. März 2007 die Ausstellung »Goldrausch: die Pracht der Goldledertapete«. Um sie herzustellen, wurde auf Kalb-, Ziegen- oder Schafleder eine feine Blattsilberschicht aufgelegt, die mit Hilfe eines gelb-braunen Firnisses das Aussehen von Gold erhielt. Anschließend druckten Manufakturmitarbeiter mit Holzmodeln das Muster auf.
Egal ob aus Papier, Leinwand oder Leder: Zu den beliebtesten Tapeten-Motiven gehörten Landschaften, Blumen und Anleihen bei Antike und den Mythen. »Weit verbreitet waren auch Gartenfeste; damit hat man sich das eigene kleine Paradies an die Wand tapezieren lassen«, weiß die Kunsthistorikerin.
Die Wände der Räume wurden nicht einheitlich gestaltet, sondern wiesen andere Farben und Motive auf. Oft ahmten Tapeten kostbare Stoffe wie Brokat, Damast und Seide nach und dienten dazu, den Wert eines Zimmers optisch zu steigern. Das Bildungsbürgertum wählte Motive aus der Literatur, um Gelehrsamkeit auszudrücken.
Tapeten aus Leder begannen zu verschwinden, als Papier seit 1830 maschinell hergestellt wurde. Im Zeitalter der digitalen Fotografie sind maßgeschneiderte, individuelle Tapeten der letzte Schrei. Dabei wird zum Beispiel die Bild-Datei eines Sonnenuntergangs aus dem Urlaub an eine Firma geschickt, die dazu die passende Tapete herstellt. Die Ausstellung »Die Tapeten von Corvey: Zur Geschichte der Wandverkleidung im 19. Jahrhundert« ist noch bis zum 1. November zu sehen (Telefon: 05271/694010).

Artikel vom 09.08.2006