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TV-Programm für Babys
Experten warnen vor den Folgen des Fernsehkonsums im Kleinkindalter
»Baby-TV«, ein Fernseh-Programm speziell für Säuglinge und Kleinkinder bis zu drei Jahren, sorgt derzeit für viel Diskussionsstoff.
In Amerika gibt es seit kurzem das »BabyFirst TV«. Der werbefreie Bezahlsender richtet sich an Kleinkinder und deren Eltern. Begründet wird das Angebot mit Verweis auf eine Studie der Kaiser-Familienstiftung aus dem Jahr 2003, wonach ohnehin 68 Prozent aller amerikanischen Kinder unter zwei Jahren täglich Fernsehen oder Videos schauen.
Auch in Deutschland scheint dieser Trend nun angekommen zu sein. Als erster Kabelnetzbetreiber kündigte Kabel BW im vergangenen Dezember an, den aus Israel stammenden und dort bereits zum erfolgreichsten Pay-TV-Kanal des Landes avancierten Sender »Baby-TV« digital in sein Netz einzuspeisen.
Das Fernsehen als Babysitter der Zukunft? Experten warnen eindringlich vor den Folgen des TV-Konsums im Babyalter.
»Kinder unter drei Jahren haben vor dem Fernseher nichts zu suchen, da sie von den Bildern, Eindrücken und Informationen geradezu überwältigt werden«, sagt der Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann. Entwicklungspsychologisch gesehen könnten sie diese Flut weder ordnen noch verstehen, denn dazu fehle ihnen ein ordnendes Zentrum. Die Ordnungsinstanz der Kinder seien letztendlich noch die Eltern.
»Bis sie etwa zwei Jahre alt sind, können Kinder weder sich noch die Welt, in der sie leben, in Beziehung setzen«, erklärt der Kinderpsychologe und rät Eltern, das Fernsehgerät auszuschalten, wenn der Nachwuchs ins Zimmer kommt. Vor allem, wenn Kinder unter drei Jahren Programme sehen, die zu viel Werbung, zu viele Schnitte oder zu viel Hektik enthalten, trage dies maßgeblich dazu bei, dass sie hyperaktiv werden.
Dennoch: »Zweijährige sehen bereits fern, das ist heute die Realität«, stellt Thomas Feibel, Leiter des »Büros für Kindermedien - Berlin« fest, doch (noch) hätten wir keine amerikanischen Verhältnisse. »Dort sehen einjährige Kinder bereits 2,2 Stunden täglich fern, dreijährige 3,6 Stunden«, weiß Feibel.
Er setzt sich intensiv auch über das Baby- und Kleinkindalter hinaus mit dem Thema auseinander und stellt fest: »Heute strömen und wirken unzählige Medien auf unsere Kinder ein und buhlen um ihre ganze Aufmerksamkeit: Computer, Konsolenspiele, Gameboys, DVDs, Videos, Internet, Musik und Handys. Damit wachsen Kinder ganz selbstverständlich auf und haben diese Dinge längst als festen Bestandteil ihrer Spielwelt akzeptiert.«
Neu ist, dass der Medienkonsum der Kinder im Mix stattfindet und sie auswählen, was ihnen nützt. Die Kinder chatten und sehen dabei fern, spielen Computer und hören Musik.
Daher rät Medienexperte Feibel den Eltern: »Bevor Sie sich überlegen, wie lange Ihr Kind was macht, schlagen Sie doch eine tägliche Medienzeit vor. In dieser Zeit kann das Kind selbst entscheiden, ob es Computer spielen, fernsehen oder Musik hören will. So lernt der Nachwuchs früh, mit seiner knappen Medienzeit umzugehen und eigene Prioritäten zu setzen.« Und damit wird die beste Grundlage für eine spätere Medienkompetenz geschaffen. (hey)

Artikel vom 16.09.2006