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»Deutsche zwischen Friedensromantik und der Lieferung von fünf U-Booten für Israels Atomraketen.«

Leitartikel
Erst Räumung, dann Krieg

Gaza, »Hisballon«
und dann?


Von Reinhard Brockmann
Sitzblockaden und Lichterketten entlang der israelischen Grenze zum »Hisballon« schlägt niemand ernsthaft vor. Dennoch ist die moralische Verurteilung des israelischen Vorgehens hierzulande weitaus heftiger und entschiedener als Kritik am Abschuss von 2700 Raketen auf Zivilisten in Israel. Welche Reaktion die richtige sei, weiß keiner - schon gar nicht jene Beobachter, die sich damit aufhalten, die Angemessenheit oder Unangemessenheit israelischer Militärschläge mit Leidenschaft zu diskutieren.
Dabei ist aus deutscher Perspektive die Kommentierung auf einer Skala zwischen Friedensromantik und der Lieferung/Schenkung von fünf deutschen U-Booten für israelische Atomraketen eher peinlich. Die Debatte ist so unergiebig wie die berühmte Sandkastenfrage, wer denn 1946 - oder gar davor - angefangen hat.
Tatsache ist, dass Krieg herrscht und wir nur einen Bruchteil dessen lesen und noch weniger davon sehen, was wirklich geschieht. Deswegen kann sich unser Verlangen allein auf rigorose Waffenruhe richten.
Tatsache ist, dass die unvorbereitete, teils als Schutzschild missbrauchte Zivilbevölkerung im Libanon mehr leidet und dass die Menschen in Haifa, Nahariyah und womöglich Tel Aviv dennoch kein Freiwild sind. Fakt ist auch, dass in Israel die Militärs derzeit das Sagen haben, nachdem die Politiker jahrelang erfolglos verhandelt haben. Völlig unbrauchbar für die politische Bewertung sind die »offiziellen« Opferzahlen: 1000 Tote im Libanon, 90 in Israel.
Ganz offenbar ist aber auch Israels Rückzug aus dem Gazastreifen 2005 nur im Westen als diplomatischer Erfolg, im arabischen Lager dagegen als Zeichen der Schwäche bewertet worden. Auch die in Israel nicht nur an einem Zaun längst erkennbare Vorbereitung der weitgehenden Räumung des Westjordanlandes hat nicht zur Entschärfung des Konfliktes beigetragen. Im Gegentel: Hisbollah wie Hamas dürfen inzwischen getrost als islamistische Faschisten eingeschätzt werden.
Die Entführungen eines israelischen Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen Ende Juni und von zwei Militärangehörigen an der Grenze zum Libanon im Juli waren keinesfalls der Urknall des Konfliktes. Zum Gesamtbild zählt viel mehr: das iranische Atomprogramm, das Schüren eines Bürgerkriegs im Irak im Windschatten eines weiteren Korea/Schweinebucht/Vietnam-Desasters der USA und das Wiedererstarken der Taliban in Afghanistan.
Angela Merkel hat schon im Frühjahr in München vor schwacher Beschwichtigungspolitik gegenüber den Mullahs gewarnt. 1938, so meinte sie, sei es auch versäumt worden, Adolf Hitler in die Schranken zu weisen. Ob das historisch haltbar ist, kann erst in einigen Jahren beurteilt werden. Aber längst wachsen mit jedem Ruf nach mehr Härte im Umgang mit der islamistischen Herausforderung auch die Sorgen um einen dritten Weltkrieg.

Artikel vom 08.08.2006