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Wenn Opa noch
weiß, wie man
Flöten schnitzt

Naturforscher-Tage im Haus Neuland

Von Peter Monke (Text und Fotos)
Sennestadt (WB). Ihren Enkel York sieht Ingrid Könemann (70) meist nur einmal im Jahr. Während der Sommerferien bringt der achtjährige Wirbelwind das Haus, in dem die Künstlerin sonst allein lebt, gehörig durcheinander. Mitunter so sehr, dass sich die alte Dame überfordert fühlt: »Größere Gegensätze als meinen Enkel und mich gibt es nicht. Wir müssen uns immer erst ein paar Tage aneinander gewöhnen.«

Anlaufschwierigkeiten dieser Art gehören heutzutage, da Großfamilien mit mehreren Generationen unter einem Dach quasi ausgestorben sind, zur Normalität. Der vertraute Dialog fällt Alt und Jung gleichermaßen schwer. Wie soll er auch funktionieren, wenn man sich nur so selten sieht?
Helfen soll Ingrid Könemann und York diesmal das »Naturforscher-Wochenende« im Haus Neuland - ein Projekt für Großeltern und ihre Enkel. Angestoßen hat es Sabine Venker, Fachbereichsleiterin für Seniorenbildung im Haus Neuland. Sie ist überzeugt: »Beide Generationen können enorm voneinander profitieren.«
Die Premierengruppe umfasst 16 Personen. Deren Programm der kommenden drei Tage lässt sich verkürzt auf den Nenner »back to the roots - zurück zu den Wurzeln« bringen. Gemütlich soll es zugehen und ruhig. Störende Errungenschaften der modernen Kommunikation wie Fernseher oder Gameboy bleiben außen vor. Stattdessen steht die Natur im Mittelpunkt, schließlich gibt es davon rund um Haus Neuland reichlich. »Der Aufwand, um ein Programm zu gestalten, soll so gering wie möglich bleiben«, erklärt Venker. Sinnvolle Freizeitangebote müssten schließlich nicht teuer sein: »Die Natur ist gerade für Kinder der beste und einfachste Spielplatz.«
Angestrebt wird, dass beide Seiten im Verlauf des Wochenendes gleichzeitig aufeinander zugehen. »Die Großeltern können ihren Enkeln zum Beispiel zeigen, welche Spiele sie in ihrer eigenen Kindheit gerne gespielt haben«, sagt Venker. Der Anfang ist viel versprechend: Beim gemeinsamen Grillen am Lagerfeuer erinnert sich »Opa« Franz Brunner aus Bielefeld an die Kunst, aus einfachem Holz einer Eberesche oder Weide eine Flöte zu schnitzen. Seine Enkel Frederick (6) und Judith (7) sind von dieser Fertigkeit ihres Großvaters begeistert. Noch am nächsten Morgen pfeifen sie vergnügt auf ihren neuen Instrumenten.
Der zweite Tag steht ganz im Zeichen des angrenzenden Waldes. Zunächst gilt es für Großeltern und Enkel, aus allen vorhandenen Naturmaterialien gemeinsam etwas zu basteln. So kommen Paul (9) und Josef (8) zu einem neuen Bogen, der selbst geschnitzte Pfeile ganz passabel beschleunigen kann. Kira (8) und Jennifer (7) werkeln dagegen unter Anleitung von Opa Heinrich Siemonsmeier lieber an einem Wichtel und Ingrid Könemann entwirft mit York ein kleines Segelschiff aus Rinde, Moos und Kiefernzapfen.
Später geht es unter Anleitung von Biologin Gritli Noack-Füller zu einem nahe gelegenen Fluss, in dem es allerlei Lebewesen zu entdecken und bestimmen gilt. Für den Abend ist eine Nachtwanderung ohne Taschenlampe geplant. Auf manch einen der Sechs- bis Zehnjährigen wartet die erste Begegnung mit einer Fledermaus.
»Großeltern von heute haben eine große Chance«, sagt Venker. »Da oftmals beide Elternteile berufstätig seien, fehle vielen Kindern das soziale Netz. »Wenn sie sich hier engagieren, leisten sie nicht nur einen wertvollen Dienst, sondern haben die Chance, selbst jung zu bleiben.« Ingrid Könemann hat sich diesen Rat zu Herzen genommen. »Anfangs bin ich nur hergekommen, um York etwas zu bieten. Doch jetzt merke ich, dass es auch mir gut tut, mal raus ins Leben und unter die Leute zu kommen. Es ist nicht gut, sich zu stark zu isolieren.«

Artikel vom 08.08.2006