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»Der Bruder Fidel Castros ist kein kubanischer Gorbatschow und kein Deng Xiaoping.«

Leitartikel
Kuba vor dem Übergang

Fidel probt
die Zeit
nach Castro


Von Bernhard Hertlein
Schon beim Namen Kuba fallen die Beine »in ritmo«, verbreiten Mojito-Drink und Havanna-Zigarre Träume von einem süßen Leben in den Tropen. Das Bild vom Paradies in der Karibik zerschellt jedoch, sobald die Touristen die Nobelhotels verlassen. Davor beginnt die Dritte Welt - mit schmutzigen Gassen und Häusern, die verfallen, mit Lebensmitteln, die zeitweise rationiert sind, und mit einer Stromversorgung, die öfter einfach ausfällt.
Auf der anderen Seite hebt sich Kuba von korrupten Armenhäusern wie dem benachbarten Haiti vor allem durch sein gut funktionierendes Gesundheits- und ein vorbildliches Schulsystem deutlich ab. Es gibt nur »relativ« Reiche, die allerdings fast immer der Partei-Nomenklatura angehören. Und es gibt »relativ« Arme, die vergebens nach einem Ausweg suchen.
Vor allem aber gibt es Fidel. Am Commandante Castro spalten sich die Geister, seit er 1959 -Êfünfeinhalb Jahre nach dem ersten revolutionären Angriff auf die Moncada-Kaserne - im Triumphzug in Havanna einmarschierte. Heute ist er für die einen der letzte große kommunistische Diktator, für die anderen der letzte noch lebende Revolutionär.
Aber selbst bei denen, die nicht zu seinen begeisterten Anhängern gehören, genießt er häufig heimlichen Respekt - als ein David, der sich trotz mehrerer CIA-gesteuerter Putsch- und Mordversuche und trotz 54-jährigen Wirtschaftsembargos gegen den übermächtigen Goliath USA behauptet.
Der Volkstribun von Havanna erwarb sich sein Charisma freilich nicht durch seine vermeintlichen oder wirklichen politischen Erfolge und erst recht nicht durch seine bekannt langen und ermüdenden Reden. Sein vor allem in Lateinamerika riesengroßer Nimbus resultiert stattdessen fast ausschließlich aus der David/Goliath-Sicht. Schon die Parole »Freiheit oder Tod« macht deutlich, mit welcher Entschiedenheit Castro den Kampf gegen die USA und die Exil-Kubaner geführt hat. Nur dass die Freiheit, die er meinte, für die Kubaner selbst Denk- und Kritikverbote bedeutete.
Im Klartext: Wer sich von der Losung »Freiheit oder Tod« die Freiheit nahm, eine andere als die Meinung des Führers zu vertreten, riskierte damit bis in die jüngste Vergangenheit seinen Tod durch Hinrichtung - oder mindestens Veröffentlichungsverbot, Inhaftierung, Folter und Ausweisung.
Vor einigen Jahren, am Ende des Kalten Krieges, schien es, als wäre Fidel der letzte Überlebende einer aussterbenden Art. Inzwischen sind neue Volkstribune nachgewachsen, die sich gern auf ihn berufen. In Venezuela und Brasilien sind sie schon an der Macht, in Nicaragua und Mexiko stehen sie davor. Zieht man zudem den Sieg der Maoisten in Nepal in Betracht, dann steht Castro keineswegs mehr allein.
So ist es gar nicht sicher, dass Kuba tatsächlich den Weg Chinas und Osteuropas gehen wird. Fidels Bruder Raúl, den er in einer Art Generalprobe für sein Ableben nun mit der Machtausübung beauftragt hat, ist jedenfalls weder ein Gorbi noch ein Deng Xiaoping.

Artikel vom 10.08.2006