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Knapp 1,50 Euro pro Stunde

Als Leichathletik-Trainer ist viel Idealismus gefragt


Bielefeld (WB/jm). Ohne Moos nichts los: Dass die Bielefelder Leichtathletik bei den Westfälischen Meisterschaften im eigenen »Wohnzimmer« mit nur sechs Aktiven vertreten war - wir berichteten gestern ausführlich - stellt für VfB Fichte-Trainerin Kerstin Poltrock ein durchaus realistisches Abbild des derzeitigen Leistungsstandes in der Metropole dar. »Die Gründe dafür sind vielfältig«.
Wäre da nicht die Stiftung der Stadtwerke Bielefeld, die (noch bis 2007) sowohl SV Brackwede als auch VfB Fichte unter die Arme greift - die Situation könnte noch ernster aussehen. Verständlich, dass Rußheide-Zaungast Hans Meermann sich das bunte Treiben wohl mit gemischten Gefühlen ansah, hatte der frühere Direktor der Sparkasse Bielefeld die olympische Kernsportart am Teuto vor Jahren doch mit 250 000 Mark an Stiftungsmitteln anschieben wollen. Die Offerte war bekanntlich nicht angenommen worden.
»In Bielefeld hatte sich jahrelang nichts getan. Erst seit wir angegriffen haben im Jahr 2000, zieht die Nachwuchsarbeit an«, erklärt A-Lizenztrainer Heinz Klatt. Bis der Talentschuppen bei den »Großen« für Furore sorgen kann, werde es freilich noch dauern. Ohne Idealismus geht es nicht. Mit »weniger als 1,50 Euro pro Stunde«, rechnet Klatt vor, würden seine und Kerstin Poltrocks Bemühungen beim VfB Fichte entlohnt. »Aber wir machen's ja gerne. Es macht Spaß, und die Perspektive ist da«, sagt die frühere deutsche Seniorenmeisterin im Speerwerfen, 35-fache Westfalenmeisterin, Regionalligafußballerin und Bobfahrerin (Deutschland I).
Die 24-jährige Eva-Maria Raddatz profitiert vom reichen Erfahrungsschatz ihrer Trainerin. Die Studentin, die vor ihrem Staatsexamen (Sport und Biologie) steht, war vor dieser Saison von BTW Bünde zum VfB Fichte gewechselt; ein Schritt, den die versierte Vielstarterin nicht bereut hat. Nicht nur, weil der Fahrtenaufwand sich erheblich reduziert hat. »Jedes Mal 30 Kilometer zum Training, das war heftig«. Noch immer trainiert sie ein Mal in der Woche in Bünde eine Kindergruppe.
Kerstin Poltrock war mit dem Abschneiden ihres Schützlings zufrieden, auch wenn sie bei Eva-Maria Raddatz die mentale Lockerheit vermisste. »Sie hat wohl zu viel nachgedacht«. Mit 1,64 Metern bei ihrem Hochsprungsieg blieb die Studentin acht Zentimeter unter ihrer Bestleistung. »Aber wenn du allein im Wettbewerb bist, lässt die Spannung nach. Das überträgt sich auf den Sprung«, so Poltrock, die zudem auf einen Wachstumsriss im rechten Fuß von Raddatz hinwies, der reduziertes Training erforderte. »Da müssen wir vorsichtig sein. Bis auf Läufe haben wir eigentlich nichts gemacht. Ob Operation oder nicht Operation - wir müssen abwarten«.
Die deutschen Mehrkampfmeisterschaften Anfang September in Wesel sollen Eva-Maria Raddatz' erstes Rußheide-Jahr beschließen.

Artikel vom 08.08.2006