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Altstädter Altar soll 1524 gefertigt sein

Bielefelder Historiker Harald Propach legt das Ergebnis fünfjähriger Forschungen vor

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Eines der vielen ungeklärten Rätsel, die der Flügelaltar der Altstädter Nicolaikirche den Forschern aufgibt, scheint gelöst zu sein: Das kostbare Eichenholzwerk wurde wohl im Jahr 1524 geschnitzt.

»Wir können dieses Jahr jetzt mit aller Entschiedenheit als Entstehungsjahr des in Antwerpen gefertigten Kunstwerks angeben«, sagte gestern der Bielefelder Historiker Harald Propach. Mehr noch: Ein rheinländischer Kunsthistoriker hat die Zahl 1524 bereits in einem Aufsatz veröffentlicht und damit salonfähig gemacht. Der emeritierte Bielefelder Historiker Prof. Heinrich Rüthing hingegen - wie Propach Mitglied des »Förderkreises Antwerpener Altar« - ist skeptisch.
Denn Propach kann keinen Tatsachenbeweis führen, sondern bleibt auf - zugegeben: einleuchtende - Indizien angewiesen. Kernpunkt seiner Argumentation: Eine Figur im zentralen Schrein der Predella (Sockel) - Motiv des Schreins ist die Heilige Sippe - trägt auf dem Saum ihres Mantels die römischen Zahlzeichen
CICCMCIICXXIdie, in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht, die Zahl
MCCCCCXXIIIIergeben - in arabischen Ziffern mithin 1524.
Die Wissenschaft geht aufgrund stilistischer Vergleiche mit Flügelaltären in ganz Europa von einem Entstehungsdatum zwischen 1520 und 1530 aus. Propach führt drei Argumente an, die seine Position plausibel machen sollen:
- Die fragliche Figur (vermutlich Cleophas, laut der mittelalterlichen »Legenda aurea« des Jacobus de Voragine der zweite Ehemann der Anna, die wiederum die Gottesmutter Maria gebar) steht auf der senkrechten Mittelachse des Flügelaltars unter der Hauptfigur des Gekreuzigten.
-Ê Die fragliche Jahreszahl ist die einzige Inschrift (von 35 bekannten auf den insgesamt etwa 250 Figuren), die ausschließlich aus römischen Zahlzeichen besteht.
-Ê Speziell die niederländischen Kunsthandwerker jener Epoche liebten es, Inschriften auf ihren Schnitzfiguren leicht zu verrätseln.
Es dauerte fünf Jahre, bevor Propach von ersten Hinweisen (aus Brüssel) bei seiner gestern veröffentlichten festen Überzeugung angelangt war. Und auch wenn Rüthing, Bielefelds wohl bekanntester Mediävist, zur Vorsicht rät, so wagt sich Propach dennoch einen weiteren Schritt auf unerforschtes Terrain vor.
Cleophas (es könnte auch Annas dritter Ehemann Salome/Salomas sein) ist als Stifterfigur im Gewand eines Chorherrn dargestellt. In Neustadt Marien wirkten Chorherren - könnte nicht der (unbekannte) Stifter des Altstädter Flügelaltars dort zu suchen sein? »Aber das sind Spekulationen«, gibt Propach zu, der seine Erkenntnisse wohl 2007 im Jahresbericht des Historischen Vereins veröffentlichen will. Der Förderkreis (50 Mitglieder), dem er vorsitzt, sammelt Geld für notwendige Restaurationsarbeiten, erforscht die Geschichte des Flügelaltars und möchte das spätgotische Prachtwerk stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.

Artikel vom 04.08.2006