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Hebammen als Familienhelfer

Vorbeugen statt eingreifen -Ê Bielefelder Projekt zum Kinderschutz

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). »Kinderschutz durch Prävention« heißt ein Projekt in Bielefeld, das vom 1. Januar 2007 an überforderte Eltern von Säuglingen und Kleinkindern im Alter von bis zu vier Jahren frühzeitig unterstützen soll. Der Clou: Eigens geschulte Hebammen werden dabei zu Familienhelfern.

Damit ein Kind zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit heranwachsen kann, braucht es Zuwendungen unterschiedlichster Art. Nicht immer sind Eltern in der Lage, sämtliche Anforderungen zum Wohle des Kindes zu erfüllen.
Das Modellprojekt »Soziale Frühwarnsysteme in Nordrhein-Westfalen« hat gezeigt, dass strukturierte, verlässliche und berechenbare Kooperationen von Fachkräften einen sinnvollen Beitrag dazu leisten, riskante Lebenssituationen bei Kindern und Familien frühzeitiger wahrzunehmen, zu beurteilen und entsprechend zu handeln.
Aufgrund dieser guten Erfahrungen in der Modellphase hat auch die Stadt Bielefeld seine sozialen Leistungen auf Früherkennung und Prävention ausgerichtet. Gestern stellte Sozialdezernent Tim Kähler das Projekt »Kinderschutz durch Prävention« vor. »Wir haben uns bewusst für Hebammen entschieden, weil sie zum einen in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz genießen, zum anderen die Personen sind, die in der Regel einen ersten Zugang zu den Familien pflegen«, erklärt Georg Epp, Leiter des Dienstleistungszentrums Jugend, Soziales, Wohnen.
Angedacht ist, dass die Famlienhebammen bei ersten Anzeichen von einer Überforderung in den Familien Hilfestellungen geben, die Selbsthilfepotenziale der Eltern stärken sowie Hilfsangebote unterbreiten. Das kann zum Beispiel der Einsatz von ehrenamtlichen Paten, ein Elterntraining oder eine Mutter-Kind-Gruppe sein.
Parallel soll die Einrichtung einer so genannten Kinderschutzfachstelle im Jugendamt das Umfeld für die Wahrnehmung von Auffälligkeiten sensibilisieren. »Oftmals wissen Nachbarn nicht, was zu tun ist, wenn in der Wohnung nebenan ständig herumgeschrien wird. Sie finden in der Kinderschutzfachstelle Informationen und kompetente Ansprechpartner«, informiert Georg Epp.
Auch den Familienhebammen sollen die Mitarbeiter der Schutzstelle beratend zur Seite stehen. Beide Einrichtungen, die Familienhebammen sowie die Kinderschutzfachstelle, sollen künftig zur Förderung von Kindern und zur Risikominimierung beitragen, um spätere Interventionen nach Möglichkeit zu vermeiden.
Sozialdezernent Tim Kähler legt Wert auf die Niedrigschwelligkeit des Angebots. »Niemand muss Angst haben, Ýdas Jugendamt nimmt uns das Kind weg.Ü Es geht uns ja gerade darum, die Kinder in den eigenen Familien zu lassen«, betont Kähler und hat damit nicht nur das Wohl des Kindes, sondern auch die Kosten im Blick.
So mussten allein im vergangenen Jahr in Bielefeld 31 Kinder unter vier Jahren in Pflegefamilien untergebracht werden, weil das Kindeswohl in der eigenen Familie nicht mehr sichergestellt war. »Ein Pflegeplatz kostet 32 000 Euro pro Jahr. Könnten wir drei Unterbringungen in Pflegefamilien vermeiden, würde sich das Projekt, das jährlich mit Gesamtkosten von 85 000 Euro zu Buche schlägt, schon rechnen«, sagt Kähler.
Im Abgleich mit den Erfahrungen anderer Kommunen wird davon ausgegangen, dass etwa 120 Bielefelder Familien das präventive Unterstützungsangebot in Anspruch nehmen würden.

Artikel vom 04.08.2006