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Die Tür ins Weltall klemmte

Thomas Reiter und Jeffrey Williams im Einsatz außerhalb der Station

Houston (dpa). Irgendwie klemmte die Tür ins All: Als die Astronauten Thomas Reiter und Jeffrey Williams gestern 400 Kilometer über Australien aus der Internationalen Raumstation ISS aussteigen wollten, knirschten die Scharniere.

»Ich komme nicht dran«, meldete Reiter der Bodenkontrolle in Houston (Texas). »Geht es jetzt besser?«, fragte Williams nach weiteren Handgriffen. Minutenlang hantierten die beiden, dann war es soweit, die Luke sprang auf. »Hinaus in die Dunkelheit!«, ordnete Bodencoach Steve Bowen an. Der 69. Außenbordeinsatz an der Raumstation sollte beginnen.
Um 16.04 Uhr MESZ schalteten die beiden Astronauten die Batterien ihrer Raumanzüge ein. Das ist immer der offizielle Beginn der Mission. Die »Nabelschnur« zur Station wurde gekappt, und von da an schwebten Williams und Reiter wie eigenständige Raumschiffe im Weltall. Williams stieg als »EV 1« als Erster aus der Luke, in einem Anzug mit roten Streifen.
Um 16.25 Uhr MESZ folgte Reiter, im NASA-Jargon »EV 2«, in einem weißen Anzug ohne Streifen, zur besseren Unterscheidung. »Ich würde sagen: Ready to go«, sagte Reiter in Englisch mit einem unverkennbar deutschen Akzent. Dann hangelten sich die beiden Astronauten an der Außenwand der Station entlang. Die Weltraumbehörde NASA übertrug den Einsatz live, unter anderem mit eingebauten Helmkameras. In der Schwerelosigkeit sah es so aus, als bewegten sich die Astronauten in ihren dicken Anzügen in Zeitlupe. Der Eindruck täuscht jedoch. Die Raumstation rast mit 28 000 Kilometern in der Stunde um die Erde. Alle 90 Minuten wird es für die Astronauten Tag und Nacht.
Über Florida begann die Schrauberei. Reiter und Williams mussten unter anderem ein Gerät installieren, das die Aufladung der Station messen soll. »Achteinhalb Drehungen« wies die Bodenkontrolle Reiter an, der zwei Bolzen loszudrehen hatte. Kein einfaches Unterfangen in den dicken Weltraum-Handschuhen. »Das ist manchmal so, als müsse man mit Skihandschuhen einen Faden in die Nadel fädeln«, sagte ein NASA-Sprecher. Doch Reiter hat die Handgriffe seit fünf Jahren geübt. Außerdem ist er ein alter Hase im All. Der Flugingenieur stieg schon zwei Mal aus der russischen Raumstation »Mir« aus. Das war vor elf Jahren.
Am deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt im bayerischen Oberpfaffenhofen wurde jeder Handgriff Reiters aufmerksam verfolgt. Dort schauten auch die ESA-Astronauten Gerhard Thiele und Reinhold Ewald zu und »litten« mit. Raumfahreranzüge seien nicht bequem, meinten sie. »Wenn man den Anzug angezogen hat und es fühlt sich bequem an, dann stimmt etwas nicht.« Dabei haben die Anzüge durchaus Komfort - fast wie im Schlaraffenland - zu bieten. Zwar fliegen den beiden die Brocken nicht gerade in den Mund, doch brauchen sie bei Hunger oder Durst nur den Kopf zur Seite zu drehen. In ihrem Helm integriert gibt es Energiesnacks und einen Wasserschlauch für die Flüssigkeitszufuhr.
Reiter und Williams waren für gut sechs Stunden Außeneinsatz gewappnet. Sicherheit war wie immer das höchste Gebot. »Thomas, bist Du richtig an der Strebe angeschnallt?«, fragte die Bodenkontrolle immer wieder. Die Astronauten tragen einen Motor im Rucksack, mit dem sie sich im Falle eines Falles aus eigener Kraft zur Raumstation zurück katapultieren könnten.

Artikel vom 04.08.2006