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»Glaubwürdigkeit muss wieder her«

Exklusivinterview: Rolf Aldag, designierter Sportlicher Leiter des Radteams T-Mobile

Halle (WB). Lässige zerrissene Jeans, weiße, scheinbar viel zu große Turnschuhe, und das Polohemd guckt etwas aus der Hose. Wie ein Spitzenmanager tritt Rolf Aldag nicht auf. Doch der 37-jährige Ahlener ist der Hoffnungsträger des T-Mobile-Radstalles. Exklusiv für das WESTFALEN-BLATT sprach Sören Voss im Haller Gasthof Jäckel mit dem neuen Sportlichen Leiter, der am 1. November seinen Dienst antreten wird.

Herr Aldag, als Sie im Frühjahr den Paderborner Osterlauf bestritten, hatten Sie als »pensionierter« Radfahrer ehrgeizige Triathlonpläne. Was ist daraus geworden?Aldag: Ich habe im Mai beim Ironman in Lanzarote »gefinisht« und da sogar die Qualifikation für Hawaii geschafft. Nur mangels Training und Zeit wird das wohl nichts werden. Zum Glück - auch wenn Hawaii eine Reise wert gewesen wäre.

Ihre Planung ist sowieso stark durcheinander gewirbelt worden. Sie haben vor einer Woche als neuer Team-Manager bei T-Mobile zugesagt, dabei waren sie eigentlich für die nächsten Jahre fest beim ZDF als Radsportkommentator vorgesehen.Aldag: Die Arbeit beim Fernsehen hat mir super viel Spaß gemacht, ist mangels Neutralität aber leider nicht mehr möglich. Es war eigentlich auch nicht mein Lebensplan schlechthin, so schnell im sportlichen Bereich einzusteigen. Es hat sich jetzt so ergeben, und ich bin gespannt, was dabei herauskommt.

Waren Sie überrascht, dass sie bei T-Mobile sofort die erste Wahl waren?Aldag: Ich war immer Teil der Mannschaft, fühle mich auch jetzt noch so. Ich arbeite momentan im PR-Bereich, wobei die neue Aufgabe schon eine viel größere Nummer ist. Eine große Herausforderung. Man schläft sicherlich nicht unbedingt ruhiger. Aber es gibt einiges zu bewegen, und ich freue mich darauf. Gratulationen würde ich aber noch nicht annehmen, denn man muss die Entwicklung abwarten.

Was war ihre erste Amtshandlung als designierter Sportlicher Leiter? Aldag: Ich führe viele Gespräche, mit Fahrern und vielen anderen Leuten. Wir brauchen Konzepte und Ideen und wir fragen uns: Was sind unsere Ziele?

Wie könnten diese Ziele aussehen?Aldag: Die sportlichen Ergebnisse waren ja bei der Tour de France schon sehr gut, im Frühjahr aber verbesserungswürdig. Jetzt wollen wir herausfinden, was wir genau verbessern müssen. An erster Stelle muss aber natürlich die Glaubwürdigkeit im Radsport wieder hergestellt werden.

Apropos Glaubwürdigkeit. Ziehen beim Thema Doping alle Teams an einem Strang?Aldag: Man hat keine freie Wahl. Es kann für einen Radfahrer nur darum gehen, zu sagen: Hey, ich möchte an einer roten Ampel nicht angespuckt werden, weil ich als Sportbetrüger angesehen werde. Man muss den ganzen Sport den Leuten glaubhaft machen.

Gilt das auch für die Sponsoren?Aldag: Natürlich. Da sitzen alle in einem Boot. Wenn ein Team verdächtigt wird, fällt das auf die Sponsoren zurück. Wenn die Sponsoren dann zu Recht sagen, dass sie kein Interesse mehr haben, muss man das nachvollziehen.

Die Fans brauchen Identifikationsfiguren. Wird es schwer, Jan Ullrich zu ersetzen?Aldag: Wir haben gute Nachwuchshoffnungen wie Linus Gerdemann. Aber Jan war nun mal ein Jahrhunderttalent. Im Nachhinein sehe ich es als Fehler der Medien, die einen übermäßigen Druck ausgeübt haben. Sie haben gesagt: Er hat das meiste Talent. Und wenn er dieses Jahr nicht die Tour gewinnt, dann ist er eine Pfeife. Das ist sicherlich nicht förderlich. Und im Nachhinein muss man sagen: Jan Ullrich ist an der von außen herangetragenen Erwartungshaltung gescheitert, die er sich irgendwann zu Eigen gemacht hat. Da muss man mit jungen Leuten vorsichtig umgehen.

Und wenn die Nachfolgersuche zu lange dauert?Aldag: Im Sport wird man doch immer an Ergebnissen gemessen. Ein FC Bayern kann im nächsten Jahr auch nicht sagen: Wir wollen ein neues Team aufbauen und würden notfalls auch in die zweite Liga absteigen. Das ist doch klar.

Kann die Mannschaft das erste Ausrufezeichen schon in der Deutschland-Tour setzen?Aldag: Ich hoffe es. Mein Siegertipp heißt Gerdemann. T-Mobile wird gerade im eigenen Land alles tun, um zu gewinnen.

Kann die Deutschland-Tour jemals den Stellenwert einer Tour de France einnehmen?Aldag: Das sollte man erst gar nicht versuchen. Man muss seinen eigenen Stand finden. Die Tour mit ihren Zuschauermassen und Medienaufmerksamkeit ist unschlagbar. Die Deutschland-Rundfahrt hat ihren Stellenwert, weil sie unkompliziert ist. Auch der Termin ist mittlerweile sehr gut. Direkt nach Frankreich gibt es Tourhelden zum Anfassen. Und das ist doch besser als eine billige Tour-Imitation.

Und wird ihre Hawaii-Reise in den kommenden Tagen endgültig abgeblasen?Aldag: Bei 38 Grad Laufen auf dem heißen Asphalt: Ich weiß ja nicht. Und beim Schwimmen sagt man mir nach, ich läge sowieso wie ein Stück Treibholz im Wasser. Dafür hoffe ich, dass das T-Mobile-Team in der kommenden Saison ganz oben schwimmt.

Artikel vom 04.08.2006