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Erfolg hat, wer
keinem Trend
hinterherläuft

Galerie Jesse besteht seit 40 Jahren

Von Uta Jostwerner
und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). »Der Kunstmarkt geht viele Irrwege. Aber ich mache das nicht mit«, verriet Dr. Jürgen Jesse vor zwei Jahren im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT das Geheimnis seines Erfolges. Mit Eigenwille, Neugierde, Leidenschaft und der Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, geht der gebürtige Münsteraner seit 40 Jahren seinen Weg als Galerist. In Ehefrau Claudia Jesse (34) hat er vor einigen Jahren eine seelenverwandte Partnerin gefunden.

Mit der Kunst steht der 68-Jährige schon viel länger im Dialog. Kontakte zu Künstlern prägten früh seinen Kunstverstand, den er durch das Studium der Kunstgeschichte, Archäologie sowie der Vor- und Frühgeschichte festigte. War eigentlich eine Karriere als Archäologe vorgesehen, so trug die Leidenschaft für die Kunst im Jahre 1966 endgültig ihren Sieg davon: Im Schloss Wöbbel zeigte Jesse Werke von Peter August Böckstiegel. Es war zugleich die Geburtsstunde der Galerie, die seit 1969 an wechselnden Orten in Bielefeld beheimatet ist.
Jesse ist laut eigener Aussage nie irgendwelchen Trends hinterhergerannt, auch wenn er die Galerie in den ersten 15 Jahren als Trendgalerie für konstruktivistische Kunst führte. Eine Wende setzte Anfang der 80er Jahre ein, als er bei der »Documenta« auf die Bilder von Mimmo Paladino stieß. »Fortan war ich den Italienern verfallen«, sagt Jürgen Jesse, der in den folgenden Jahren junge zeitgenössische italienische Kunst in Bielefeld präsentierte.
Eine Ausstellung mit Werken von Pepe d'Angelo im Jahre 1994 sollte schicksalhaft werden: Das WESTFALEN-BLATT schickte seine freie Mitarbeiterin Claudia Mondorf, die die Ausstellung rezensieren sollte, zur Eröffnung. »Der Artikel hat mir so gut gefallen, dass ich sie am nächsten Tag anrief«, erzählt Jürgen Jesse. Eine berufliche Partnerschaft bahnte sich an, die schließlich auch private Früchte trug. 1999 heiratete das Paar. Seither arbeitet Claudia Jesse nicht nur im Hintergrund der Galerie mit. Immer wieder hat sie auch eigene Akzente gesetzt - beispielsweise mit Ausstellungen wie »Die Musik in der Kunst«.
Das vielseitige kulturelle Interesse des Galeristen Jesse fand im Laufe der Jahrzehnte in zahlreichen Aktivitäten seinen Widerhall. So zeichnet Jesse als Herausgeber einer Kunstbuch-Edition verantwortlich, organisiert Kunstreisen und betreibt Handel mit italienischen Weinen.
Während seines Engagements um die junge Kunst entstand im Laufe der Jahre eine eigene Kunstsammlung, die neben zahlreichen italienischen Künstlern auch die Werke von ostwestfälischen Künstlern enthält, die Jesse immer wieder in seiner Galerie präsentierte.
Zu erwähnen wäre noch, dass Jesse bereits vor der Wende gute Kontakte zu Künstlern der DDR und zur dortigen Kunstschmiede Burg Giebichenstein pflegte, dass er ein großer Freund und Förderer der afrikanischen Kunst ist und dass er im stillen Kämmerlein auch schon mal selbst zu Farbe und Pinsel greift. »Das sind sehr persönliche Werke, die bei uns zu Hause hängen und die ich normalerweise nicht ausstelle«, erzählt er.
Nun aber soll anlässlich des 40. Geburtstags doch eine Ausnahme gemacht werden. Im Bootshaus des Kulturguts Haus Nottbeck in Oelde-Stromberg sind die Arbeiten ab Samstag, 5. August, zu sehen. Am selben Tag feiert das Galeristenpaar mit Freunden dort auch den 40. Geburtstag der Galerie - natürlich nicht ohne die Kunst und die befreundeten Künstler. Zugleich wird eine Ausstellung mit Werken von Christofer Kochs eröffnet; dazu liest der Schauspieler Georg Luibl Aphorismen zur Kunst. Nicht zuletzt erfolgt eine Kunstauktion, bei der 40 Werke aus 40 Jahren Galerie Jesse versteigert werden. Natürlich wird auch auf anregende Genüsse in Form italienischen Weins nicht verzichtet: »120 Liter Vollrausch« stehen bereit.

Artikel vom 03.08.2006