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Eltern werden von dieser Regierung so ausgebeutet wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Leitartikel
Rentenbeiträge

Wenn Kinder
sich die Augen
zuhalten


Von Jürgen Liminski
Gerät das Land intellektuell aus den Fugen? Bringt die Nachwuchskrise führende Leute in Politik und Rechtsprechung um den gesunden Menschenverstand?
Da behauptet zum Beispiel der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans Jürgen Papier: »Rentenbeiträge kommen in eine verfassungsrechtliche Problemzone, wenn das eingezahlte Kapital regelhaft bei weitem das übersteigt, was der Einzelne später an Leistungen erhält.« Damit nährt er die jahrzehntealte, kollektive Illusion, die gesetzliche Rente sei die Rückzahlung der eigenen Beiträge plus einer Rendite, die Rente funktioniere also wie eine Lebensversicherung.
Das ist falsch, wie das Bundesverfassungsgericht selbst in mehreren Urteilen festgestellt hat. Die heute eingezahlten Beiträge werden ausschließlich dafür verwendet, den Rentnern die Rente zu zahlen, das Umlagesystem funktioniert wie ein Durchlauferhitzer, wobei immer weniger Wasser (Beiträge) in den Erhitzer kommt, weil die Beitragszahler weniger werden.
Der »permanente Verfassungsbruch« (Paul Kirchhof) besteht heute darin, dass die Leistung der Eltern (Zeugung und Erziehung künftiger Beitragszahler) nicht berücksichtigt wird. Dieser für das System bestandserhaltende »generative Beitrag« wird nicht honoriert, müsste aber, wie das Bundesverfassungsgericht auch zu Zeiten von Papier konstatierte, auf den finanziellen Beitrag angerechnet werden. Davon spricht Papier jetzt plötzlich nicht mehr.
Zweites Beispiel: Die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen meint zu den neuesten Zahlen über die Kinderarmut, das sei alles ganz schrecklich, das liege an der Arbeitslosigkeit und das von ihr propagierte Elterngeld trage zur Vermeidung dieser Armut bei. Wo ist die Logik?
Das Elterngeld wird nur an Eltern gezahlt, die schon einer Erwerbsarbeit nachgehen, und das auch nur für ein Jahr nach einer Geburt,;es wird nicht gezahlt den bereits in Armut lebenden Kindern und ihren Eltern. Mehr noch: Eltern werden von dieser Regierung so ausgebeutet wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Krokodilstränen der Ministerin sind pure Heuchelei.
Drittes Beispiel: Die Robert-Bosch-Stiftung spricht neuerdings von der »demographischen Rendite«, und mancher Politiker plappert es nach. Man spare viele Milliarden, weil man weniger Kosten für Schulen, Kindergärten, Kinderkliniken etc. aufzubringen habe. Aber das ist genau der Denkfehler: Man sieht die Ausgaben für Kinder nur als Kosten, nicht als Investitionen (wie die Franzosen oder die Finnen). So gesehen ist die demographische Rendite am höchsten, wenn es gar keine Kinder mehr gibt. Absurdes Denken.
Solche Äußerungen spiegeln ein Denken wieder, das sich ängstlich an den Besitzständen festkrallt und den Blick in die Zukunft verweigert. Kleine Kinder halten sich gern die Augen zu und rufen: Such mich doch, such mich doch! Sie glauben, wenn sie nichts sehen, dann sehen die anderen sie auch nicht.

Artikel vom 07.08.2006