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Pippi braucht nicht zur Schule
Susan Rostam und Sarah Fromme begeistern als frecher Rotschopf auf der Freilichtbühne in BökendorfIn der Schule sind sie höflich und aufmerksam, machen immer ihre Hausaufgaben, tragen ordentliche Kleidung und unauffällige Frisuren. Geschrei und Streiche spielen - das ist ihnen fremd. In ihrer Rolle als Pippi Langstrumpf erkennt man die beiden Mädchen allerdings nicht wieder: Bunte Klamotten, freche rote Zöpfe, ein loses Mundwerk, und jede Minute wird ein neues Schelmenstück ausgeheckt.
Sarah Fromme (12) und Susan Rostam (14) spielen nicht nur Astrid Lindgrens Romanfigur - die beiden Pennälerinnen aus Bad Driburg sind Pippi leibhaftig, wenn sie die Kulisse der Freilichtbühne in Bökendorf (Kreis Höxter) für das Kinderstück »Pippi in Taka-Tuka-Land« betreten. Von der Schulbank auf die Bretter, die die Welt bedeuten: Wie bekommt ein junges Mädchen eine Hauptrolle an einer der erfolgreichsten Freilichtbühnen Deutschlands? In Bökendorf wird von den Kinderschauspielern eine Menge verlangt. »Wir haben ein hohes Niveau aufgebaut«, sagt Regisseur Patrick Poßner. »Für eine Hauptrolle muss man schon gut sein«, schaut er zu Sarah und Susan herüber, die seit einigen Jahren Erfahrungen in den jeweiligen Kinderstücken wie »Simba« oder »Emil und die Detektive« gesammelt haben.
Lampenfieber? Das kennen die Pippi-Darstellerinnen, die sich in der Hauptrolle abwechseln, nicht. Textprobleme? »Nach ein paar Mal blättern im Textbuch saß die Rolle«, erzählt die zwölfjährige Sarah. »Wir lernen das viel besser beim Spielen und Sprechen«, ergänzt Susan, die wie Sarah das Gymnasium St. Xaver in Bad Driburg besucht.
Die Eltern müssten die jungen Schauspieler zwar immer zu den vielen Proben und später zu den fast zwei Dutzend Aufführungen kutschieren, »aber die meisten haben richtig Spaß daran, dass ihr Nachwuchs ein sinnvolles Hobby hat«, meint Susan, deren Gesichtsausdruck irgendwie ein bisschen an Inger Nilsson, die berühmte Pippi-Darstellerin in den Filmen, erinnert. Dass sie die Pippi-Rolle das ganze Jahr überall hin begleitet, das stört die Langstrumpf-Kopien wenig: »Nur ganz zu Beginn wurde in der Schule auch mal gelästert«, berichtet Sarah Fromme.
Seit Januar hat das Ensemble für »Pippi in Taka-Tuka-Land« geprobt: erst einmal die Woche, dann zweimal und je nach Bedarf auch mehrmals. »Wir Regisseure sind streng. Die jungen Leute müssen viel leiden«, scherzt Patrick Poßner und fügt ernsthaft an, dass er klare Vorstellungen von der Schauspielarbeit habe und ohne Textsicherheit, Pünktlichkeit und Einsatz nichts laufe. Dabei dürfe man aber auch nicht vergessen, dass es sich wie bei Sarah und Susan um Amateure, um Schülerinnen, handele, »die das insgesamt alles ganz toll machen«.
Spannend zu beobachten sei auch, wie Sarah als zwölfjährige Pippi kindlich-naiv und unbefangen-quirlig im positiven Sinne darstelle, während die zwei Jahre ältere Susan die Pippi, in der beide ein unerreichtes Vorbild sehen (»Die muss ja nie zur Schule«), eher jugendlich-frech und schon etwas weniger als »Spring-ins-Feld« interpretiere. »Und das ist doch gut so«, lacht Patrick Poßner, der Grundschullehrer ist und mit Co-Regisseur Carsten Meier sehr viel Freizeit in die Theaterarbeit steckt.
Apropos Freizeit, die schrumpft in der Spielzeit, die jetzt nach der Sommerpause noch einige weitere Wochen läuft, für Sarah und Susan arg zusammen. Sarah Fromme, die noch zwei Geschwister hat, nennt als Hobbies Klavier und Geige spielen, Leichtathletik, Lesen, Jazz-Dance und Babysitten; doch dies sei wohl eher etwas für die Zeit nach der Saison.
Susan Rostam, die auch Geige spielt und gerne singt, im Sommer im Godelheimer Freizeitsee badet und drei Geschwister hat, kann sich übrigens wie Sarah vorstellen, die Schauspielerei später nach dem Abitur am »Missionshaus« als Beruf zu wählen. Für beide sind die Bühne, das Publikum und der Applaus ein toller Lohn für ihre harte Probenarbeit.
Die Freilichtbühne Bökendorf ist das zweite Zuhause der Driburgerinnen, auch weil die Eltern der beiden in Brakel-Bökendorf, wo übrigens die Brüder Grimm im Schloss ihre weltberühmten Märchen aufgeschrieben haben, im Ensemble engagiert sind.
Sarah, großer Fan von Sarah Connor und Kelly Clarkson, hat das mit dem Schauspielern schon ganz gut raus: Den Fototermin in Garderobe und Villa-Kunterbunt-Kulisse absolviert sie mit einem Lächeln wie ein Profi; Susan steht ihr da in nichts nach. Locker-flockig, gut gelaunt, voller Energie und mit einem Schuss Witz weiß der Fotograf nach einer Weile nicht mehr, ob er Pippi oder die Kopien Susan/Sarah da vor sich hat. So schnell gehen Rollen auch in Fleisch und Blut über.
»Im Fernsehen waren wir auch schon«, erzählen die Pippis von Bökendorf stolz. Das Stück »Pippi in Taka-Tuka-Land« wird seit Mai vor ausverkauftem Haus gespielt. Es ist ein Publikumsrenner. Karten sollte man vorbestellen. Die Jungschauspieler müssen den 700 Zuschauern oft Autogramme geben. Bunte Kos-tüme, eine witzige Kulisse, 70 Kinder, die kleine Rollen - vom Äffchen bis zum Papp-Hai - übernehmen: »Unsere Schauspielschar ist eine große Familie«, sagen Sarah und Susan.
Und worum geht es im Stück? Pippi Langstrumpf ist das stärkste Mädchen der Welt! Ihre Mutter ist schon tot und ihr Vater lebt als König von Taka-Tuka-Land weit weg auf einer Südseeinsel. Doch einsam fühlt sich der quirlige Rotschopf in der Villa Kunterbunt nicht. Dafür sorgen ihre Freunde Thomas und Annika sowie ihr Äffchen und ihr Pferd. Eines Tages erscheint Kapitän Langstrumpf in der Villa Kunterbunt, um seine Tochter als Prinzessin Pippilotta mit auf die Taka-Tuka-Insel zu nehmen. Mit der Hoppetosse machen sie sich auf nach Taka-Tuka-Land. Kartentelefon: 05276/8043. Michael Robrecht
www.freilichtbuehne-boekendorf.de

Artikel vom 12.08.2006