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Peer Steinbrück

»Ja, die Erhöhung der Mehrwertsteuer hat kontraproduktiven Effekt.«

Leitartikel
Reizthema Mehrwertsteuer

Schwieriger Weg aus der Schuldenfalle


Von Edgar Fels
Es gibt nur wenige Themen, die für so viel Emotionen sorgen wie die von der Großen Koalition beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007. Verbraucherschützer rechneten bereits vor, zusammen mit höheren Krankenkassenbeiträgen und steigenden Energiekosten werde die von 16 auf 19 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer jeden Haushalt mit jährlich 500 bis 1000 Euro zusätzlich belasten, trotz sinkender Beiträge für die Arbeitslosenversicherung. Wem kann das gefallen? Die derzeitige Kauflust der Bürger könnte 2007 ein jähes Ende finden - mit Folgen für die Wirtschaft.
Genau darauf weisen auch führende Ökonomen seit Monaten immer wieder hin: Die Steuererhöhung, sagen sie, wirke sich kontraproduktiv auf den noch zarten konjunkturellen Aufschwung aus. Das bestreitet nicht einmal Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD).
Optimistischer, aber allein auf weiter Flur unter den Wirtschaftsexperten ist der Präsident des Münchener ifo-Institutes, Hans Werner Sinn. Der Professor meint, eine höhere Mehrwertsteuer werde das Wachstum kaum belasten. Sinn ist überzeugt, die Konjunktur habe Schwung genug, um bis ins Jahr 2008 hinein zu wirken. Wenn das so wäre, was heute niemand weiß, würde sich wohl vor allem die Bundesregierung freuen.
Die Große Koalition macht sich mit ihrer Steuerpolitik nur wenig Freunde. Die Wähler hat sie vergrätzt. Zur Erinnerung: Im Wahlkampf hatten die Sozialdemokraten »keine Mehrwertsteuererhöhung« versprochen, CDU und CSU wollten sie dagegen um zwei Prozentpunkte erhöhen - herausgekommen sind satte drei Prozentpunkte Erhöhung. Klarer Fall: Der Wähler wurde geleimt.
Ebenso klar ist aber auch: Der Staat braucht Geld, um einen Beitrag zur Konsolidierung der maroden Staatsfinanzen zu leisten, will er die Maastricht-Kriterien erfüllen und die zu Lasten der nachfolgenden Generationen aufgetürmte Rekord-Neuverschuldung endlich abbauen. Der Steuerzuschlag soll die Nettokreditaufnahme wieder auf die verfassungsrechtliche Höchstmarke von 22 Milliarden Euro zurückführen.
Knapp zehn Milliarden Euro zusätzlich sollen auf Mehrwert- und Versicherungssteuer entfallen, kalkuliert Steinbrück. Für eine echte Konsolidierung ohne Neuverschuldung braucht man indes dem ifo-Institut zufolge »um die 75 Milliarden Euro«, so groß sei das Finanzierungsdefizit im Jahr 2005 gewesen.
Die Gretchenfrage ist: Schafft die Wirtschaft auch 2007 neue Arbeitsplätze in Deutschland? Und kann die Senkung der Lohnnebenkosten - ein Prozentpunkt der Steuererhöhung geht in die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge - dazu einen nennenswerten Beitrag leisten?
Mit der Steuererhöhung stärkt die Bundesregierung zunächst nur die Angebotsseite. Die Nachfrageseite, also wir Verbraucher, haben definitiv weniger Geld zum Konsumieren in der Tasche. Hoffentlich geht die Rechnung auf.

Artikel vom 04.08.2006