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Ein Meisterwerk der
chinesischen Architektur
Pekings Kaiserpalast beeindruckt Besucher mit unglaublichen Dimensionen
Unwillkürlich denkt man: Das ist ja fast so, als ob ein Bildnis Adolf Hitlers am Brandenburger Tor in Berlin hängen würde.
Auf dem Tor des Himmlischen Friedens in Peking prangt tatsächlich noch das Portrait des Tyrannen Mao Zedong, dahinter strebt man zwischen dem Gedenkpark für Republikgründer Sun Yatsen und dem Arbeiterkulturpalast dem wohl größten Monument der chinesischen Geschichte zu, dem Kaiserpalast von Peking. Das von einem Wassergraben gesäumte 72 Hektar große Areal ist so weitläufig, dass die alternative Bezeichnung »Verbotene Stadt« nicht von ungefähr kommt.
Obwohl in nur 17 Jahren entstanden, steht der Palast gleichsam als Synonym für 5000 bewegte Jahre, in denen eine Hochkultur im Osten Asiens reifte. Es waren die Ming-Kaiser, die letzte nationale Dynastie Chinas, die die Verbotene Stadt gründeten. Von 1644 bis 1911 wurde das Land dann von der mandschurischen Qing-Fremddynastie beherrscht.
Der dritte Ming-Kaiser Yongle begann 1406 mit dem Bau der Verbotenen Stadt. Zeitweise sollen eine Million Arbeiter und mehr als 100 000 Kunsthandwerker daran gebaut haben. Nur durch solch einen Aufwand ist es zu erklären, dass der Bau schon 1420 erstmals bezogen wurde.
Die größte Steinplatte hat eine Fläche von mehr als 50 Quadratmetern und eine Dicke von mehr als 1,5 Meter. 20 000 Arbeiter transportierten die 250 Tonnen schwere Platte im Winter 50 Kilometer weit über eine extra angelegte Eisschiene. Dazu brauchten sie 28 Tage.
Der Nachfolger von Yongle baute den Palast zwar in seinem Sinne um und erweiterte ihn noch, am Grundriss veränderte weder er noch ein anderer Kaiser etwas. Daher ist die Anlage noch stets in ihrer ursprünglichen Weise, streng Nord-Süd gerichtet, erhalten.
Nach der Revolution von 1911 dankte der letzte Kaiser Pu Yi ab. Er lebte danach mit seiner Familie noch eine Weile im Fastenpalast. 1924 mussten sie schließlich die Verbotene Stadt verlassen, die Tore wurden für die Bevölkerung geöffnet.
Die Verbotene Stadt stellt ein Meisterwerk der chinesischen Architektur dar. Ihre Anlage entsprach der Weltsicht der kaiserlichen Herrscher: ein annähernd schachbrettartiger Grundriss - ausgerichtet an der Nord-Süd-Achse.
Schreitet man durch den rechten, einstmals hohen Beamten und Generälen vorbehaltenen Teil des Mittagstores, betritt man eine Welt, die ihresgleichen sucht. 9999 Räume gilt es zu besichtigen - wobei der Platz zwischen vier Säulen stets als ein Raum gilt.
Es sind die Dimensionen und die baulichen Attribute, nicht aber die Ausstattung, die den Besucher staunen lassen. Prunkvolle Schätze wie in Europas Königsschlössern sucht man vergeblich. Dafür ist Symbolträchtiges zu entdecken. Das wichtigste Gebäude erkennt man daran, dass auf dem doppelten Sattelwalmdach pro First gleich zehn apothropheische Wächterfiguren stehen. Zehn ist in China die Zahl der höchsten Harmonie.
Der Drachenthron steht mitten im Raum. Der Thron wird von zwei Elefanten, die den Frieden symbolisieren, bewacht. Benutzt wurde die Halle zur Thronbesteigung eines neuen Kaisers, zu Feierlichkeiten beim Geburtstag des Herrschers, zum neuen Jahr, zur Wintersonnenwendfeier, zur Bekanntgabe der Kandidaten, die die kaiserliche Beamtenprüfung bestanden hatten, oder zur Nominierung der Generäle, wenn ein Feldzug bevorstand.
In den nächsten Jahren bis zu den Olympischen Spielen müssen Besucher allerdings mit erheblichen Einschränkungen rechnen. Denn die Verbotene Stadt muss umfassend renoviert werden, soll sie 2008 in neuem Glanz erstrahlen. Schon jetzt sind etliche Seitengebäude eingerüstet. Trotzdem lohnt natürlich der Besuch. Denn neben den großflächigen Regierungs-Arealen gibt es auch eine nicht minder umfangreiche Siedlung für die Konkubinen, die sich die Monarchen in unvorstellbarer Menge hielten.
Freilich sollte man bei einem Besuch von Peking nicht den Sommerpalast im Nordwesten der Metropole außer acht lassen. Südlich des Berges der Langlebigkeit erstreckt sich heute der größte und besterhaltene klassische Garten Chinas. Er geht sogar auf das Jahr 1153 und damit die Jin-Dynastie zurück. Hallen und Paläste beherbergen immerhin auch mehr als 3000 Räume. Der riesige Kunming-See ist von Uferpromenaden gesäumt, der Blick schweift über eine elegant geschwungene Brücke mit 17 Bögen, große Tempelanlagen, den weitläufigen Küchenkomplex des Palastes und diverse Pagoden. Ein imponierender Wandelgang, verziert mit Bildern berühmter Parkanlagen, Pflanzen und Tiere, lädt zum Wandeln zwischen Abbild und Wirklichkeit ein.
Am Ende steht das berühmte Marmorschiff, ein unbeweglicher Pavillon voller Anmut. Drachenboote setzen die Besucher zum anderen Seeufer über, auf Tretbooten genießen Pärchen ihre Zweisamkeit. Thomas Albertsen

Artikel vom 12.08.2006