31.08.2006
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Kate wandte sich an Dennis Tremlett. »Haben Sie mit Mr. Oliver gesprochen, nachdem Ihre Verlobte ihm die Neuigkeit beigebracht hatte?«
Tremlett blinzelte, als müsste er Tränen zurückhalten, und es fiel ihm offensichtlich schwer, ihr in die Augen zu blicken. »Nein, es gab keine Gelegenheit mehr dazu. Er war zum Dinner drüben im Haus und kam erst zurück, als ich bereits fort war. Heute Morgen hatte er das Cottage bereits verlassen. Ich habe ihn nicht wieder gesehen.« Seine Stimme zitterte.
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»Er war sehr still. Ich weiß, dass er Angst vor dem Älterwerden hatte, Angst davor, sein Talent könnte versiegen. Er hat sich nie dahingehend geäußert, aber ich kannte ihn sehr gut. Ich habe gespürt, dass er unglücklich war.« Sie schaute Tremlett auffordernd an. »Du hast das doch auch gespürt, nicht, Darling?«
Das Kosewort kam so unerwartet, dass es irgendwie schockierend wirkte. Dabei klang es eigentümlich gehemmt, wie ein frisch erworbenes, noch nicht vertrautes Wort, weniger eine verbale Liebkosung als vielmehr eine leicht trotzige Behauptung. Tremlett schien es nicht wahrzunehmen.
Er wandte sich an Dalgliesh und sagte: »Er hat sich mir nicht oft anvertraut, so ein Verhältnis hatten wir eigentlich nicht zueinander. Ich war nur sein Lektor und sein Sekretär. Dass er bedrückt war, weil sein letztes Buch nicht so gut angenommen wurde wie die vorherigen, ist mir natürlich aufgefallen. Gewiss, er war schon lange arriviert, und die Rezensenten behandelten ihn immer mit Respekt. Doch er selbst war nicht zufrieden. Das Schreiben dauerte länger, und er fand die Worte nicht mehr so leicht. Aber er war noch immer ein wunderbarer Autor.« Seine Stimme brach.
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Miranda sah zu Dennis Tremlett hinüber, als hätte die Frage eigentlich an ihn gerichtet werden müssen und nicht an sie. Tremlett saß stocksteif da, hielt die Augen auf seine gefalteten Hände gerichtet und erwiderte ihren Blick nicht. Da sagte sie: »Das ist eine furchtbare Unterstellung, Commander. Mein Vater war kein Mensch, der sich umbringt, und wenn doch, dann hätte er es nicht auf diese grauenhafte Art und Weise getan. Hässlichkeit stieß ihn ab, und Erhängen ist hässlich. Er hatte alles, wofür es sich zu leben lohnt. Ruhm, Sicherheit und sein Talent. Und er hatte mich. Ich habe ihn geliebt.«
An dieser Stelle schaltete sich Kate ein. Sie war niemals gefühllos und nur selten unhöflich, aber sie ließ sich auch nicht durch übertriebene Zurückhaltung daran hindern, eine direkte Frage zu stellen. »Vielleicht hat ihn Ihre Entscheidung zu heiraten doch mehr verstört, als er zugeben wollte. Immerhin hätte das sein Leben gründlich durcheinander gebracht. Falls er andere Sorgen hatte, die er Ihnen nicht anvertraute, könnte das der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte.«
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Dalgliesh sagte freundlich: »Genau das hat Inspector Miskin ja gemeint. Ihnen und Mr. Tremlett war offensichtlich daran gelegen, dass Ihr Vater nicht leiden sollte. Sie wollten ihn weiterhin umsorgen, und Mr. Tremlett wollte weiterhin als sein Sekretär arbeiten. Aber vielleicht hat Ihr Vater nicht erkannt, wie viele Gedanken Sie sich darüber gemacht hatten. Inspector Miskin hat eine nahe liegende Frage gestellt, die weder grausam noch unsensibel war. Wir wissen, dass Ihr Vater gestern Abend, nachdem Sie ihm die Neuigkeit eröffnet hatten, im Haupthaus gegessen hat - was ungewöhnlich war - und dass er zweifellos aufgebracht war. Außerdem hatte er für heute Nachmittag die Barkasse angefordert. Er hat zwar nicht ausdrücklich gesagt, dass er vorhatte, die Insel zu verlassen, aber davon ist wohl auszugehen. Hat er einem von Ihnen erzählt, dass er abreisen wollte?«
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Wieder herrschte Stille. Falls Tremlett oder Miss Oliver versucht waren zu lügen, so musste ihnen nach kurzer Überlegung klar sein, dass die Polizei es durch einfaches Nachfragen bei Jago Tamlyn überprüfen konnte. Schließlich sagte Tremlett: »Gelegentlich, aber nicht oft. Ich weiß nicht mehr, wann das letzte Mal.«
Dalgliesh spürte eine Veränderung, subtil, aber unverkennbar, in ihrem Frage-und-Antwort-Spiel. Er versuchte es anders. »Hat Ihr Vater mit Ihnen über sein Testament gesprochen? Wissen Sie etwas von irgendwelchen Organisationen, die von seinem Tod profitieren werden?«
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Kate fragte: »Wann genau haben Sie Ihrem Vater von der Verlobung erzählt?«
»Gestern so gegen fünf Uhr nachmittags, vielleicht auch ein bisschen später. Dennis und ich hatten einen Spaziergang über die Klippe gemacht, und ich bin allein nach Hause gekommen. Daddy war hier und las, und ich habe ihm Tee gemacht und es ihm dann verraten. Er hat sehr lieb reagiert, aber nicht viel dazu gesagt, außer, dass er sich für uns freuen würde und sich schon so was gedacht habe.
Artikel vom 31.08.2006