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Zeit für eine Wiederentdeckung

Andreas Kossert widmet sich der unverstellten Geschichte Ostpreußens

Ostpreußen neu entdeckt.
Von Bernhard Hertlein
Kaliningrad (WB). Bernstein und Königsberger Klopse, Immanuel Kant und das Lied vom »Land der dunklen Wälder«: Was sonst ist von Ostpreußen noch übrig geblieben? Die Region zwischen Weichsel und Memel ist nach Ansicht des Historikers Andreas Kossert vor allem im 20. Jahrhundert von den Nationalismen der unterschiedlichen Seiten kulturell und geschichtlich aufgerieben worden. Sowohl in Deutschland als auch in Polen und sogar in Litauen sei die Vergangenheit instrumentalisiert worden -Êentweder zur Glorifizierung oder zur Verdammung.
In der Bundesrepublik geriet Ostpreußen Kossert zufolge nach 1945 in die Schere zwischen »Hort preußischen Junkertums« und heile deutsche Vergangenheit. Versuche, sich an das Gesamte zu erinnern, waren tabuisiert.
Damit ist es nun, 61 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und 17 Jahre nach der Öffnung des Kaliningrader Oblast (Region Königsberg), vorbei. Kossert kann sich bei seinem »Plädoyer für eine Wiederentdeckung« auch auf das intellektuelle Interesse vieler heutiger Russen, Polen und Balten an der Geschichte Ostpreußens stützen. Sein Buch widmet sich vor allem der kulturellen Vielfalt, die sich im Mit- und Gegeneinander der Völker über Jahrhunderte entwickelt hat. Viele Glaubensflüchtlinge fanden hier Unterschlupf. Hier war mit Immanuel Kant und Johann Gottfried Herder ein Zentrum der europäischen Aufklärung.
Ostpreußen, schreibt Kossert, war mehr ein Teil der europäischen und preußischen als der deutschen oder einer anderen nationalen Geschichte. Dass man heute von Preußen spreche, aber eigentlich Berlin und Brandenburg meine, sei falsch. Der Ursprung liege dort, »wo heute Russen, Litauer und Polen Nachbarn sind«. Im Prinzip genüge der Blick in alte Lexika, die stets Königsberg als »Hauptstadt Preußens« bezeichnen. Hier habe vor 200 Jahren nach der verlorenen Schlacht von Jena und Auerstedt in Tilsit (heute Sowjetsk) auch eine der schwärzesten Stunden der preussischen Monarchie geschlagen.
Kosserts Buch ist eine gute Basis für die Wiederentdeckung Ostpreußens, die er fordert. Das Zusammenspiel politischer, militärgeschichtlicher und kulturell-religiöser Entwicklungen und Ereignisse fesselt den Leser über knapp 400 Seiten.
ANDREAS KOSSERT: Ostpreußen -ÊGeschichte und Mythos, Siedler-Verlag, 24,90 Euro.

Artikel vom 03.08.2006