31.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Die Frau an seiner Seite«

Willy Brandts frühere Frau Rut ist tot - Beisetzung in Berlin

Von Wilfried Mommert
Berlin (dpa). Viele Ältere kennen das Foto noch. Nach der Bundestagswahl 1969 steht der strahlende SPD-Wahlsieger Willy Brandt auf einem Tisch, im Arm seine Ehefrau Rut.
Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt und seine Ehefrau Rut 1968 beim Bundespresseball in Bonn. Foto: dpa

So kannten die Deutschen sie: charmant und zurückhaltend - eine Dame. Als »Frau an seiner Seite« erlebte sie Willys politische Karriere mit. Nach der Scheidung 1980 zog Rut sich weiter zurück. Der dänische Journalist Niels Norlund wurde ihr neuer Partner. Zwei Jahre nach ihm starb am Freitag Rut Brandt in Berlin, hier soll sie auch beigesetzt werden.
Ihr Auftreten und ihr gewinnendes Lächeln verschafften Rut Brandt in der Bevölkerung breite Sympathie, auch über die Scheidung hinaus. 1992 erschien ihr Buch »Freundesland«: Erinnerungen an ein bewegtes Leben vom Arbeiterkind zur First Lady.
Geboren wurde sie 1920 als Rut Hansen in Hamar in Norwegen. Mit 16 agitierte gegen die deutsche Besatzung, 1942 floh sie nach Schweden. Nach dem Tod ihres ersten Mannes lernte sie 1944 den deutschen Exil-Journalisten Herbert Frahm kennen. Dessen Deckname: Willy Brandt. 1947 ging sie mit ihm zur norwegischen Militärmission nach Berlin.
Brandt wurde mitten im Kalten Krieg Regierender Bürgermeister von Berlin, stieg zum Außenminister der großen Koalition auf und wurde 1969 als erster Sozialdemokrat Bundeskanzler. Ruts Charme half Brandt auch bei dessen neuer Ostpolitik - selbst der unzugängliche Kreml-Führer Leonid Breschnew war fasziniert von ihr.
Ruts private Lebensbilanz an der Seite Willy Brandts trug aber auch bittere Züge. In ihren Erinnerungen wurde deutlich, wie wenig der SPD-Politiker seiner Frau und Mutter der drei gemeinsamen Söhne Peter, Lars und Matthias von seinen Beweggründen und Sorgen erzählte. »Ich war gewöhnt, nichts zu hören und auch nichts zu erfahren, wenn ich fragte«, notierte Rut Brandt.
Das galt auch für die Guillaume-Affäre: Als Brandt am Morgen des 6. Mai 1974 an das Ehebett trat und seiner Frau sagte, er werde zurücktreten, sagte Rut nur: »Das finde ich richtig. Einer muss die Verantwortung auf sich nehmen.« Aus seinem Verhalten schloss Rut Brandt, dass ihr Mann eine andere Reaktion erwartet hatte.
Seit ihrer Scheidung 1980 habe ihr Mann kein Wort mehr mit ihr gewechselt, bekannte Rut Brandt später. 1983 heiratete Willy Brandt die Journalistin und langjährige Assistentin Brigitte Seebacher. Zum Staatsbegräbnis für den Altkanzler 1992 war Rut nicht mehr erwünscht.
Als gestern ihr Tod bekannt wurde, schrieb SPD-Chef Kurt Beck, Rut Brandt sei eine großartige First Lady gewesen und »eine kluge Botschafterin ihres Heimatlandes«. Rut Brandt habe die Tugenden der europäischen Sozialdemokratie verkörpert. Die Familie wählte als Leitspruch für die Traueranzeige einen Satz des norwegischen Literaturnobelpreisträgers, Dichters und Politikers Björnstjerne Björnson: »Es gibt Sonne genug, es gibt Acker genug. Hätten wir nur der Liebe genug.«

Artikel vom 31.07.2006