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»Das Maß war voll«

Hertha BSC Berlin verkauft Marcelinho in die Türkei

Berlin (dpa). Ballgenie mit einem Schuss zu viel Wahnsinn: Die Ära von Marcelinho (31) beim Bundesligisten Hertha BSC Berlin ist mit dem Wechsel zum türkischen Spitzenklub Trabzonspor zu Ende.

Der beste Fußballer, aber auch das größte Sorgenkind der jüngeren Hertha-Geschichte wurde Samstag beim türkischen Ex-Meister vorgestellt, während seine Ex-Kollegen in Düsseldorf ohne ihn gegen den Hamburger SV (0:1) aus dem Ligapokal ausschieden.
Der Brasilianer kehrt noch einmal zur Verabschiedung nach Berlin zurück, wo er die Fans mit 65 Toren und 49 Vorlagen in 155 Liga-Spielen verzauberte, sportliche Führung und Mitspieler mit etlichen Eskapaden in fünf Jahren aber mehr als einmal zur Verzweiflung trieb.
»Er hat sich viel Kredit erspielt, aber auch viel verspielt. Rational gab es keine andere Entscheidung, emotional ist das etwas anderes. Unter dem Strich ist es ein tolles Kapitel Hertha BSC gewesen«, sagte Manager Dieter Hoeneß.
2,5 Millionen Euro Ablöse soll Marcelinho den mit mehr als 40 Millionen Euro verschuldeten Berlinern noch einbringen, zudem sparen sie für das letzte Jahr des einst bis 2007 abgeschlossenen Vertrages sein Gehalt, das bei 1,8 Millionen Euro brutto liegen soll. In Trabzon, wo sein Landsmann Sebastiao Lazaroni als Trainer arbeitet, soll Marcelinho angeblich 1,6 Millionen Euro netto verdienen. Er unterschreibt bis 2009.
Marcelinho hatte Hertha BSC in den vergangenen vier Wochen wieder in Atem gehalten, nachdem er seinen Heimaturlaub um neun Tage überzog und zum vierten Mal nacheinander zum Trainingsauftakt fehlte. Zudem hatte er mit Palmeiras Sao Paulo verhandelt. Damit war der Geduldsfaden von Hoeneß und Hertha-Trainer Falko Götz gerissen, der im UI-Cup auf Marcelinho verzichtete und sich durch das Weiterkommen bestätigt fühlen durfte.
»Marcello ist ein sehr guter Spieler und hat viele tolle Tore für uns geschossen. Aber jetzt war das Maß voll. Es ist bei uns kein Platz für Egoisten«, stellte der Coach klar. Seine Kollegen hatten den Exzentriker nach dessen Rückkehr zunächst geschnitten. Kapitän Arne Friedrich war bei einem Spiel in Dortmund 2005 von Marcelinho sogar tätlich angegangen worden.
Zu seiner Glanzzeit war er dagegen praktisch nicht zu ersetzen. Ohne ihn rutschte Hertha BSC, das ihn einst für sieben Millionen Euro von Gremio Porto Alegre holte, vor drei Jahren in die Abstiegszone. Führerscheinverlust nach einer rasenden Fahrt unter Alkoholeinfluss, eine angebliche Disco-Schlägerei in der Heimat, Grundstücksgeschäfte, eine große Entourage und finanzielle Probleme: So lange die Leistung stimmte, genoss Marcelinho einen Sonderstatus und wusste es auch. Die Abschiedsworte von Hoeneß: »Alle haben nur auf den nächsten Klops gewartet, deshalb mussten wir reagieren und so entscheiden.«

Artikel vom 31.07.2006