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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


»Geh aus, mein Herz, und suche Freud« ist das wohl unbeschwerteste Lied im evangelischen Gesangbuch (EG 503). Sein Dichter, Paul Gerhardt, gab ihm die Überschrift »Sommer-Gesang«, und streckenweise gleicht es in der Tat mehr einem Volkslied als einem Choral. Die erste Strophe lautet: »Geh aus, mein Herz, und suche Freud / in dieser lieben Sommerzeit / an deines Gottes Gaben; / schau an der schönen Gärten Zier / und siehe, wie sie mir und dir / sich ausgeschmücket haben.«
Gottfried Keller nimmt in einem seiner Gedichte das Motiv des Schauens ebenfalls auf. Die Augen sind für ihn die Fenster zur Wirklichkeit. Er rät: »Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, / von dem goldnen Überfluß der Welt.«
Paul Gerhardt dagegen wendet sich an das Herz als die Lebensmitte, den Personenkern des Menschen. Denn was einer sieht und wahrnimmt, wie etwas auf ihn wirkt, das hängt viel weniger, als oft gemeint, von den Eindrücken ab, welche die Sinnesorgane auffangen und vermitteln. Vielmehr werden im Herzen die entscheidenden Weichen dafür gestellt, was bei einem ankommt, wie es ankommt und ob es überhaupt ankommt oder unbemerkt bleibt. Umgekehrt können die Sinne vieles erhaschen, ohne daß es einen berührt und zu Herzen geht. Es kann einen eben auch kalt lassen.
Das ist oftmals der Fall, wenn die Gedanken und Gefühle vornehmlich um das eigene Ich kreisen. Dann läßt sich das Herz von den persönlichen Problemen, Sorgen und Befürchtungen so gefangen nehmen, daß es selbst zu einer Art Gefängnis werden kann. In solche Lage zu geraten, ist jedoch kein unentrinnbares Schicksal. Denn das Herz ist nicht gezwungen, eine - um mit Paul Gerhardt zu sprechen - »Schwermutshöhle« zu sein und zu bleiben. Es kann auch eine Reise antreten, um die Freude zu suchen. Diese nämlich kommt nicht nur von selbst. Man muß sie auch wollen, aufspüren, sich für sie öffnen, sie zu sich hereinlassen.
Der Liederdichter freilich ist lebenserfahren genug, um zu wissen, daß niemand sich selbst, wie Münchhausen, an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen kann. Mit ein paar aufmunternden Worten ist es auch nicht getan. Daher rät er, auf Gottes Gaben zu achten, die einen von allen Seiten umgeben. Sie weisen hin auf den Urheber und Erhalter allen Lebens, von dem es heißt: »Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir (Ps. 139, 5). In Fülle sind sie vorhanden und ermöglichen Leben. Sie senden darüber hinaus persönliche Grüße; denn sie sind nicht einfach da wie Gegenstände, sondern es sind »deines Gottes Gaben«, also die Zeichen seiner Liebe und Treue zu jedem einzelnen. Darum spricht Paul Gerhardt auch nicht einfach von einem schönen Sommer, sondern mit Bedacht von der »lieben Sommerszeit«, aus der uns Gottes Güte anstrahlt und anlacht.
Da zeigt sich die Schöpfung wie eine schöne, gepflegte und üppige Gartenlandschaft. Dieses so charakteristische Motiv will beachtet sein. Denn im Unterschied zur freien und wilden Natur bildet der Garten einen eingefriedeten Raum in der Landschaft. Er bietet Schutz und Geborgenheit. Gott möchte also - so meint Paul Gerhardt -, daß wir unseren Lebensraum als einen Garten erkennen.
Denn Gott hat ihn in seinen gnädigen Schutz genommen, er waltet mit seinem Frieden darin, und wir Menschen dürfen uns in ihm als gern gesehene und behütete Gäste wohl fühlen.
Im Sommer feiert die Schöpfung ihr Freudenfest und will Lebensfreude vermitteln. Damit werden die finsteren Seiten des Daseins nicht geleugnet. Wer aber fähig ist, sich zu freuen, bekommt um so mehr die Kraft, auch dem Dunkel standzuhalten. Denn er läßt sich hineinnehmen in das Lob, durch welches das Leben Schwung und Weite erhält: »Ich selber kann und mag nicht ruhn, / des großen Gottes großes Tun / erweckt mir alle Sinnen; /ich singe mit, wenn alles singt, / und lasse, was dem Höchsten klingt, / aus meinem Herzen rinnen.«

Artikel vom 29.07.2006