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Die Kanzlerin will ihr
Kabinett nicht umbilden

Eindringlicher Lehrstellen-Appell an die Wirtschaft

Berlin (Reuters). Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht trotz der jüngsten Koalitionsstreitigkeiten nach eigener Darstellung keine Notwendigkeit für eine Regierungsumbildung. »Das Kabinett arbeitet sehr gut zusammen«, sagte sie der »Bild am Sonntag«.

Für eine Kabinettsumbildung gebe es daher keinerlei Anlass. Sie habe mit dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck und CSU-Chef Edmund Stoiber vereinbart, sich in der großen Koalition auf die Sacharbeit zu konzentrieren und sich eng abzustimmen. »Das erwarten die Menschen zu Recht«, betonte sie. Merkel wies auch Forderungen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers nach einem klareren Erscheinungsbild der Union in der großen Koalition zurück. »Die Union hat ein klares Profil«, sagte die Kanzlerin.
Merkel appelliert an die deutschen Unternehmer, alle Spielräume zur Schaffung von Lehrstellen zu nutzen. »Die Wirtschaft muss bei der Ausbildung alle Reserven ausschöpfen. Wir reden ja gerade oft über Patriotismus. Natürlich muss ein Unternehmen schwarze Zahlen schreiben. Aber ich bin der Meinung, Unternehmer sollten sich fragen: Welche Spielräume und Möglichkeiten habe ich noch? Und die sollte ein Unternehmer gerade hier im Sinne unseres Landes nutzen.«
Merkel fügte hinzu: »Es gehört zu den betrüblichsten Erfahrungen eines jungen Menschen, wenn er von der Schule kommt und keinen Ausbildungsplatz findet. Es ist auch kurzsichtig gedacht - in einigen Jahren wird es durch den Geburtenrückgang zu wenige Auszubildende geben.
Auf dem Arbeitsmarkt rechnet die Bundeskanzlerin mit einem dauerhaften Aufschwung. »Wir hatten im Juni den stärksten Rückgang gegenüber dem Vormonat seit 16 Jahren. Im Juli rechne ich mit der Fortsetzung der positiven Entwicklung.« Sie bekräftigte die Pläne der Koalition, die Arbeitsmarktreform Hartz IV im Herbst grundlegend zu überarbeiten.
Merkel äußert sich besorgt über die unterschiedliche Einkommenssituation in Deutschland. »Wir haben große Unterschiede in der Gesellschaft: Einige können sich einen sehr guten Lebensstandard leisten. Aber ein Teil liegt deutlich unterhalb des mittleren Niveaus. In meinem Wahlkreis kommen oft Rentner, allein erziehende Mütter und Arbeitslose in die Bürgersprechstunde. Sie bringen ihr Haushaltsbuch mit und rechnen mir vor, wie wenig ihnen zum Leben bleibt. Für manche ist es eine echte Herausforderung, wenn zum Beispiel der Kühlschrank oder die Waschmaschine kaputtgehen. Das finde ich schon bedrückend.«
Bundestagsabgeordnete dürfen nach Ansicht der Bundeskanzlerin einen Nebenjob ausüben. »Ich bin nicht generell dagegen, dass Abgeordnete Nebentätigkeiten haben.« Mit Blick auf den gescheiterten Wechsel des CDU-Abgeordneten Norbert Röttgen auf einen BDI-Spitzenposten sagte die Kanzlerin: »Aber herausgehobene Stellungen, die man über viele Jahren machen will, vertragen sich auf Dauer nach meiner persönlichen Einschätzung nicht mit einem Bundestagsmandat«.
Merkel zeigt sich grundsätzlich offen für ein allgemeines Rauchverbot in öffentlichen Räumen. »Es gibt ein berechtigtes Interesse der Nichtraucher in unserer Gesellschaft«, sagte die CDU-Chefin. Die Forderung nach einem Rauchverbot in öffentlichen Räumen sei daher legitim. Merkel verwies darauf, dass Nachbarländer wie Frankreich bereits strenge Regelungen zum Schutz von Nichtrauchern getroffen hätten. Dort sei die Freiheit auch nicht zu Grunde gegangen. Allerdings sei sie bei derartigen Verboten stets für Augenmaß.

Artikel vom 31.07.2006