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Israel verzichtet zunächst auf
Bodenoffensive in Libanon

Bundesregierung hofft auf schnelle Einigung über Sicherheitstruppe

Beirut/Jerusalem (Reuters). Israel will im Kampf gegen die Hisbollah-Miliz im Libanon vorerst auf eine große Bodenoffensive verzichten. Die Regierung halte an der Strategie fest, mit Luftangriffen und begrenzten Bodeneinsätzen gegen die radikal-islamische Bewegung vorzugehen, verlautete gestern nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts.

Die Luftwaffe setzte ihre Bombardements im Libanon unvermindert fort. In Israel wiederum wurden durch den Einschlag von Hisbollah-Raketen vier Menschen verletzt. Auf internationaler Ebene verschärfte sich der diplomatische Streit über den Krieg. Die USA verhinderten eine israel-kritische Erklärung im UN-Sicherheitsrat. Die Extremistengruppe Al-Kaida meldete sich in dem Konflikt erstmals zu Wort und rief Moslems auf der ganzen Welt zum Kampf gegen Israel auf.
Das israelische Sicherheitskabinett beriet gestern über Konsequenzen aus den bislang schwersten Tagesverlusten seit Beginn des Krieges vor gut zwei Wochen. Binnen 24 Stunden waren bei Gefechten mit Hisbollah-Kämpfern neun israelische Soldaten getötet worden. Die israelische Luftwaffe bombardierte auch gestern unvermindert Ziele im Libanon. In dem nahe der Hisbollah-Hochburg Bint Dschbeil gelegenen Dorf Blida hätten 700 Menschen, darunter 300 Kinder, Schutz in einer Moschee gesucht. In den Dörfern fehlten Trinkwasser, Lebensmittel und Medikamente.
Nördlich von Beirut zerstörten israelische Kampfflugzeuge Funkmasten. In israelischen Armeekreisen hieß es, binnen 24 Stunden seien im Südlibanon Dutzende Hisbollah-Kämpfer getötet worden. Ziel der israelischen Militäroffensive im Libanon ist unter anderem, die Hisbollah von der Grenze zurückzudrängen, um deren Raketenbeschuss zu stoppen.
In Nordisrael schlugen dennoch wieder Dutzende Hisbollah-Raketen ein. In der Nähe der Grenzstadt Kirjat Schmona wurde eine Zahnpasta-Fabrik getroffen. Erste Befürchtungen, ein Chemiewerk sei getroffen worden, bestätigten sich nicht. Auch auf andere Städte gingen Raketen nieder - vier Menschen wurden verletzt. Seit Beginn des Krieges vor zwei Wochen kamen fast 500 Menschen ums Leben, die meisten davon libanesische Zivilisten.
Unterstützung für ihren Krieg erhalten die Israelis vor allem von ihrem engsten Verbündeten, den USA. Im UN-Sicherheitsrat verhinderten sie eine Verurteilung Israels wegen der Tötung von vier UN-Mitarbeitern im Südlibanon. Die UN-Militärbeobachter waren als Mitglieder der Friedenstruppe Unifil im Libanon stationiert. UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte den Vorfall scharf verurteilt und von einem vorsätzlichen Angriff gesprochen, was Israel zurückwies. Auch Russland sprach von einem inakzeptablen Vorgang. Frankreich zeigte sich enttäuscht über die Weigerung der USA bei einer internationalen Libanon-Konferenz am Vortag, die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand mitzutragen.
Die Regierung in Paris schlug ein Treffen des UN-Sicherheitsrats auf Ministerebene für kommende Woche vor, um über eine Waffenstillstandsresolution zu beraten. Rice zeigte sich skeptisch zu Vorschlägen europäischer Länder, Iran und Syrien, die als Unterstützer der Hisbollah gelten, in die Konfliktlösung einzubeziehen. Syrien dürfe nicht erlaubt werden, wieder Einfluss auf den Libanon zu nehmen.
Erst im vergangenen Jahr hatte sich Syrien nach 30-jähriger Präsenz aus dem Nachbarstaat zurückgezogen. Für Dienstag ist eine Sondersitzung der EU-Außenminister geplant. Dabei soll unter anderem über eine europäische Beteiligung an einer multinationalen Friedenstruppe beraten werden. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, er hoffe, dass schnell die Voraussetzungen für eine UN-Truppe geschaffen werden könnten. Daran könnten möglicherweise auch deutsche Soldaten beteiligt sein.
Erstmals äußerte sich auch die Al-Kaida zu dem Konflikt. Der Vize-Chef der Moslemextremisten, Aiman al-Sawahri, warnte in einer Videobotschaft Israel vor Konsequenzen bei einer Fortsetzung der Offensive gegen die Hisbollah und die Palästinenser. »Moslems überall, ich fordere Euch auf, zu kämpfen und Märtyrer im Krieg gegen die Zionisten und die Kreuzritter zu werden.«

Artikel vom 28.07.2006