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Spendengelder für Insterburg
lagern beim russischen Zoll

Unterstützung russischer Armer und Waisen nach 13 Jahren vor dem Aus

Von Bernhard Hertlein
Kirchheimbolanden (WB). Hermann Fürwitt (72) ist in der pfälzischen Gemeinde Kirchheimbolanden ein angesehener Mann. Der frühere Sparkassendirektor ging nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst nicht etwa in den Ruhestand;Êer investierte vielmehr seine Zeit in ein breites Netz zur Unterstützung der Armen in der russischen Stadt Tscherniachowsk (ehemals Insterburg, Nordostpreußen).
Diese zerstörte Brücke an der früheren Reichsstraße 1 erinnert an den Weltkrieg.

»Geben Sie zu, Sie sind hier, um mit Drogen zu handeln!« Hermann Fürwitt trifft der Vorwurf wie ein Hammerschlag. »Geben Sie zu, Sie sind der Kopf einer kriminellen Vereinigung.« Sieben Stunden geht das so. »Gestehen Sie, dass Sie hier krumme Dinge planen. Geben Sie zu, dass Sie das schon seit 13 Jahren tun.«
Am Anfang schien es eine Fahrt zu werden wie die vielen anderen vorher. Fürwitt und seine kleine Delegation reiste mit wenig Gepäck, seit sie entschieden hatte, Lebensmittel, Textilien, Spielwaren und Arzneimittel nicht mehr aus Deutschland in die russische Exklave Kaliningrad (früher Königsberg) zu fahren, sondern stattdessen Geld zu sammeln und die Hilfsgüter vor Ort einzukaufen.
Die Entscheidung war nicht ganz freiwillig gefallen. Sie war auch das Ergebnis fortwährender Probleme mit dem Zoll, der gegenüber den Deutschen mal diese, mal jene neue Verordnung Moskaus aus der Schublade zog. Den Behörden war -Êund ist -Êes offensichtlich ein Dorn im Auge, dass die Helfer aus Deutschland darauf bestehen, den Armen direkt zu helfen. Immer wieder forderten sie und insbesondere Tscherniachowsks neuer Bürgermeister Viktor Gradow Fürwitt auf, die Spenden ihm zum übereignen. Seine Behörde werde schon für die Verteilung sorgen. Wissend um die Korruption in dem Amt hat Fürwitt dies stets abgelehnt: »Ich bin es den Spendern schuldig, dass ich die Ausgaben genau überwache.«
An der Grenze zum russischen »Oblast Kaliningradzkaja« angekommen, füllte Fürwitt wie immer den Berg von Formularen ordnungsgemäß aus. In die Rubrik »Barmittel« trug er ordnungsgemäß ein: 10 850 Euro. Das Geld sollte vor allem einem der beiden Waisenhäuser in Tscherniachowsk, der Armenküche und vielen namentlich bekannten Notleidenden in der Stadt zugute kommen. »Von der neuen Verordnung aus Moskau habe ich schlicht nichts gewusst«, berichtet Fürwitt im Gespräch mit dieser Zeitung. Hätte er sie gekannt, hätte man das Geld auch einfach unter den Mitreisenden aufteilen können. Dazu war es jetzt an der Grenze zu spät. Das sich anschließende siebenstündige Verhör bezeichnet der erfahrene Helfer als demütigend und »sehr, sehr anstrengend«.
Am Ende legte man ihm ein 14seitiges Protokoll vor - auf Russisch und in kyrillischer Schrift: »Ich unterschrieb, ohne den Inhalt zu kennen - nur um wegzukommen.« Zu Hause diagnostizierte der Arzt Herzflimmern: »Einen Tag länger -Êund es wäre für Sie lebensgefährlich geworden.«
Fürwitt durfte überhaupt nur abreisen, weil er das gesamte Geld in den Händen des russischen Zolls zurückließ. Inzwischen erhielt er bereits eine neue Vorladung. Fürwitt ist willens, mit Hilfe eines Anwaltes in Kaliningrad um die Spendengelder zu kämpfen. Der Staatssekretär in der Mainzer Staatskanzlei, Klaus Rüter, hat sich als bislang Prominentester in die Sache eingeschaltet -Êbis heute ohne Erfolg.
Teil des von Fürwitt initiierten Hilfsprojektes sind persönliche Patenschaften Pfälzer Bürger für einzelne Kinder in dem Tscherniachosker Waisenhaus. In diesem Zusammenhang wurden wiederholt Gruppen von Kindern nach Kirchheimbolanden eingeladen. Auf dem Programm standen in diesem Jahr neben gemeinsamen Gottesdiensten, Spielen und Feiern unter anderem der Besuch eines großen Freizeitparks und eine Schiffsfahrt auf dem Rhein. Vor allem die erwachsenen Betreuer aus Russland verließen die Pfalz diesmal jedoch mit wässrigen Augen. Das Hilfsprojekt steht auf der Kippe. Fürwitt: »Eine Spendenaktion für den russischen Zoll - da macht keiner der Sponsoren mehr mit.«

Artikel vom 03.08.2006