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Verhältnis zwischen Annan
und Israel schlecht wie nie

Nahostkonflikt beschäftigt Vereinte Nationen wie kaum ein anderes Thema

Von Christoph Driessen
New York (dpa). Selten hat sich der sanfte Kofi Annan so hart gezeigt wie jetzt nach dem israelischen Beschuss eines UN-Postens im Libanon. Der »Chefdiplomat der Welt«, wie er sich selbst nennt, warf Israel einen »offenbar absichtlichen« und »koordinierten« Angriff auf die UN-Beobachter vor.
Sorgen sich um den neuen Nahost-Konflikt: US-Außenministerin Condoleezza Rice und UN-Generalsekretär Kofi Annan. »Befremden« hat Annan mit seiner scharfen Kritik in Israel ausgelöst. Foto: dpa
Rauch steigt über dem Dorf Khiam auf. Bei dem israelischen Luftangriff starben vier Militärbeobachter der Vereinten Nationen. Foto: Reuters
Der israelische UN-Botschafter Dan Gillerman verurteilte diese Äußerungen umgehend als »voreilig« und »falsch«. Der Schlagabtausch ist Ausdruck eines zerrütteten Verhältnisses zwischen Israel und den Vereinten Nationen.
Der israelische Regierungschef Ehud Olmert bedauerte die Bombardierung in einem Telefongespräch mit Annan, drückte aber auch sein »Befremden« über dessen Vorwürfe aus. Die Israelis halten Annan vor, dass er zwar eine eingehende Untersuchung des Vorfalls verlange, das Ergebnis aber offenbar schon kenne: Schließlich unterstelle er Israel, mit Vorsatz gehandelt zu haben.
Ein UN-Sprecher sagte dazu, die israelischen Streitkräfte hätten das direkte Umfeld des UN-Postens während des ganzen Tages immer wieder unter Feuer genommen.
Mehrfach hätten die UN-Beobachter einen israelischen Verbindungsoffizier beschworen, den Beschuss einstellen zu lassen. Stattdessen seien schließlich vier Beobachter durch einen Volltreffer getötet worden. Insofern sei Annans Kritik am israelischen Militär nur zu begreiflich, hieß es aus UN-Kreisen.
Kaum ein Thema hat die Vereinten Nationen in ihrer mehr als 60-jährigen Geschichte so sehr beschäftigt wie der Nahostkonflikt. Der Weltsicherheitsrat hat dazu 260 Resolutionen erlassen - die Israel meist kalt ließen. Versuche, sie durchzusetzen, scheiterten am Veto Amerikas.
Arabische Staaten, aber auch viele Entwicklungsländer, werfen den USA deshalb vor, mit zweierlei Maß zu messen: Im Fall des Iraks werde die Missachtung einer Resolution mit der Besetzung eines ganzen Landes bestraft, Israel dagegen könne sich der Weltgemeinschaft offen widersetzen.
Es ist lange her, seit der Jude Albert Einstein den Ausbau der Vereinten Nationen zu einer echten Weltregierung mit einer durchsetzungsfähigen Polizeitruppe forderte. Heute nehmen israelische Politiker die Organisation oft als Gegner wahr. Sie verweisen auf wiederholte Versuche, Israel auszuschließen.
Doch gerade in den vergangenen Jahren haben die UN einiges getan, um den Vorwurf der Israel-Feindlichkeit zu entkräften. So führte die Vollversammlung einen internationalen Holocaust-Gedenktag ein. UN-Generalsekretär Annan verurteilte den Aufruf des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zur Vernichtung Israels ebenso klar wie jede Leugnung des Holocaust.
Doch Israel und Amerika strafen die UN nach Überzeugung vieler Mitgliedstaaten und UN-Funktionäre nach wie vor mit Verachtung. Als mehrere Mitglieder des Sicherheitsrates das israelische Vorgehen gegen die Hisbollah kürzlich als unverhältnismäßig kritisierten, höhnte der amerikanische UN-Botschafter John Bolton, der Sicherheitsrat drohe zur »Schwatzbude« zu verkommen.
Es sind solche Äußerungen, die bei vielen UN-Mitgliedern - und wohl auch bei Kofi Annan - zu tiefer Verbitterung geführt haben.

Artikel vom 27.07.2006