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Der letzte Angehörige erzählt

Museum Wäschefabrik macht die Geschichte der Familie Juhl sichtbar

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Sie ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen und eines fünfstündigen, gefilmten Interviews mit dem letzten engen Angehörigen der jüdischen Unternehmerfamilie Juhl, Fritz Bender: die Medienpräsentation des Fördervereins »Museum Wäschefabrik« zur »Geschichte der jüdischen Unternehmerfamilie Juhl«. Am Donnerstag erlebte sie ihre Uraufführung im »Lichtwerk«.

Dabei waren gut 100 geladene Gäste, darunter Oliver Wittke, Landesbauminister und stellvertretender Vorsitzender der NRW-Stiftung und Bürgermeister Horst Grube. Im Museum Wäschefabrik an der Viktoriastraße 48 a ist der Film zum ersten Mal am Sonntag, 30. Juli, zu sehen. Von 11 bis 17 Uhr führen Mitglieder des Fördervereins die Präsentation jeweils zur vollen Stunde auf einer großen Leinwand in der ehemaligen Unternehmerwohnung vor. In der Fabrik steht zudem ein Monitor, mit dem sich Besucher selbständig durch Berührung durch die Medienpräsentation leiten können.
Die Familiengeschichte der Juhls wird anhand der Erinnerungen von Fritz Bender (1913-2005) erzählt. Bender war verheiratet mit Hanna, der jüngsten Tochter von Hugo Juhl, der die Wäschefabrik 1912/13 erreichten ließ. Fritz Bender und seine Frau emigrierten bereits 1933 nach Amsterdam, dort kam Tochter Marianne zur Welt. 1938 wurde die Familie Juhl in Bielefeld gezwungen, die Fabrik an die Brüder Winkel zu verkaufen, Hugo Juhl starb kurz darauf, seine Frau Clara und Tochter Mathilde gelang die Flucht nach Amsterdam. Im Mai 1940 überredeten die Frauen Bender dazu, in einem Boot die Flucht übers Meer zu wagen. Zwei Tage später wurde Bender und die übrigen Passagiere von einer englischen U-Boot-Besatzung gerettet. Er wurde in Kanada interniert, hörte nie mehr etwas von seiner Familie. . . Frau, Tochter, Schwägerin und Schwiegermutter nahmen sich im Juli 1940 in Amsterdam das Leben. »Als wir vor Jahren erfuhren, dass Fritz Bender in Kanada lebt, haben wir ihn gefragt, ob er uns ein Filminterview geben würde,« erinnert sich Rüdiger Uffmann, Vorstandsmitglied des Fördervereins. 1994 und 2000 war Bender in Bielefeld, erzählte seine Lebenserinnerungen - beim letzten Mal fünf Stunden lang. Dr. Claudia Puschmann: »Es war überwältigend, welch' präzises Erinnerungsvermögen Bender hatte.« Und, so ergänzt Robert Cohnen, der in London das Logbuch des U-Bootes entdeckt hat, in dem Benders Rettung verzeichnet ist: »Er hat filmreif erzählt.« Die Erinnerungen seien, so Uffmann, »die wichtigste Brücke in die Vergangenheit der Familie Juhl. Denn in Bielefeld gibt es - abgesehen vom Gebäude der Wäschefabrik selbst - keine Spuren ihres Lebens: »Es gibt keine Briefe, keine Tagebücher - nichts.« Die Bielefelder Historiker haben alle Orte aufgesucht, die Lebensstationen der Juhls waren - fanden auch die Gräber der Frauen auf dem jüdischen Friedhof in Diemen (b. Amsterdam). Claudia Puschmann spürte über zahlreiche Umwege einige wenige Fotos auf.
Die Medienpräsentation werde künftig Teil der Führungen durch das Museum Wäschefabrik sein, es könnten aber auch Extra-Vorführungen, etwa für Schulklassen, gebucht werden (Tel. 0521/60464). Uffmann: »Mit der Filmerzählung wird das Augenmerk auf die Gründerfamilie der Wäschefabrik gelenkt.«

Artikel vom 28.07.2006