27.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Schüler lernen
von Canossa

Führer bereiten sich auf Ansturm vor

Von Dietmar Kemper
Paderborn (WB). Modernes Denken, Streitkultur, Trennung von Staat und Kirche: Schulklassen können in der Ausstellung »Canossa 1077: Erschütterung der Welt« in Paderborn viel lernen. Ein besseres »Lehrstück für den Unterricht« gebe es nicht, meint Christoph Stiegemann.

Seit Canossa seien Herrscher nur noch Laien und keine gottähnlichen Menschen mehr, sagte der Geschäftsführer der Ausstellungsgesellschaft Canossa dieser Zeitung. Schüler könnten in Paderborn den Prozess der Trennung von Staat und Kirche verfolgen und würden dann die Unterschiede zu den Gottesstaaten des Islam in der Gegenwart leicht erkennen. Dort regiert weiter der Koran.
Nach dem Ende der Ferien erwartet die Ausstellungsgesellschaft einen Ansturm von Schulklassen. Während der Karolinger-Ausstellung 1999 wurden 1800 Klassen durch die drei Häuser geschleust. »Die Lehrer, die damals mit ihren Schülern zu der sehr erfolgreichen Ausstellung gekommen sind, werden sie im Hinterkopf behalten haben«, vermutet Michael Drewniok und rechnet für »Canossa« mit ähnlich großer Resonanz. Diesmal habe man mehr Führer angeheuert, erzählt der für Besuchergruppen und Schulklassen zuständige Mitarbeiter. Ein Stamm von 90 Führern, darunter Studenten und ehemalige Lehrer, betreut die Gäste.
Denen werden zwölf verschiedene Führungen durch die Ausstellung mit 700 Exponaten angeboten. Schüler der Klassen 3 bis 13 lernen zum Beispiel, wie es auf der Burg von Gräfin Mathilde zuging, wie biblische Geschichten in der romanischen Kunst dargestellt wurden, welches politische Erdbeben der Kniefall von Kaiser Heinrich IV. vor Papst Gregor VII. auslöste und wie sich Adel, Klöster und Städte vom 10. bis 12. Jahrhundert entwickelten.
Inszenierungen wie die beschwerliche Überquerung der Alpen und Gebilde, die an Theaterkulissen erinnern, sollen bei den Schülern Interesse wecken, sagte Drewniok. 1000 Kubikmeter Holz wurden verarbeitet, um die Exponate attraktiv zu präsentieren. 90 Minuten dauern die Führungen, die sich auf eines der drei Häuser der Ausstellung (Kaiserpfalz, Diözesanmuseum und Städtische Galerie) beschränken. »Jugendliche sind mit einem überschaubaren Themenkomplex besser bedient«, weiß Dremniok aus Erfahrung. Die Schüler werden erfahren, dass das Mittelalter keine finstere Epoche war. »In die Zeit fällt der Durchbruch des modernen rationalen Denkens«, betont Christoph Stiegemann. Außerdem entstehe das, was man heute »Streitkultur« nennt. Die Parteien bemühten sich, Auseinandersetzungen mit Argumenten auszutragen.
Zudem verlieren die Schüler Vorurteile. Stiegemann: »Die mächtige Fürstin Mathilde von Tuszien beweist, dass die Behauptung Unsinn ist, Frauen hätten nichts zu sagen gehabt.«

Artikel vom 27.07.2006