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»Amnestie durch die Hintertür«

Streit über Gnade im Skandal-Prozess - Nur Juve steigt in die Serie B ab

Rom (dpa). Inter Mailand ist zum italienischen Meister ernannt worden, für die Sünder gab es Gnade. Mit einer Art »Amnestie durch die Hintertür« hat das Berufungsgericht im italienischen Fußball-Skandal Juventus Turin & Co. vor ruinösen Strafen, die Liga vor einer totalen Blockade und den Fußballverband FIGC vor einem Prozess-Marathon bewahrt.
Richter Piero Sandulli verkündete in Rom die Berufungsurteile.
Die Richter milderten fast alle Strafen deutlich ab: Dem als einzigen wegen der Liga-Manipulationen zum Zwangsabstieg in die Serie B verurteilten Rekordmeister Juve wird durch weniger Strafpunkte der direkte Wiederaufstieg, dem AC Mailand die Teilnahme an der Champions League sowie AC Florenz und Lazio Rom der Verbleib in der ersten Liga ermöglicht. »Die Show ist gerettet - das hässliche Nachspiel des großen Prozesses«, spottete gestern die Zeitung »La Repubblica«.
Am Abend wurden dann Inter offiziell zum Meister 2006 erklärt worden. »Es gab keinen Grund Inter den Titel als bestplatzierte Mannschaft nicht zu verleihen«, erklärte der kommissarischen FIGC-Präsident Guido Rossi und setzte damit die von einer eigens einberufenen Expertenkommission getroffene Entscheidung um. Zuvor waren Juventus Turin vom FIGC-Sportgericht wegen der Liga-Manipulationen die Titel 2005 und 2006 aberkannt worden. Der Titel 2005 wurde nicht vergeben.
»Farce« oder »Weises Urteil mit Augenmaß«? - Italien schwankte zwischen Erleichterung und Wut. Nach dem durch den Skandal überschatteten WM-Triumph jubeln zumindest die Tifosi der geretteten Clubs wieder: In letzter Sekunde meldete Italien seine Europacup-Teilnehmer; die Ligen können Ende August starten.
»Das Urteil ist lächerlich«, schimpfte aber FC Palermos Präsident Maurizio Zamparini, für den Richter Piero Sandulli Gnade vor Recht ergehen ließ. Juve, Florenz und Lazio sehen dies anders, fühlen sich völlig unschuldig und kündigten sogar Berufung vor dem Gericht des Nationalen Olympischen Komitees (CONI) an, bevor sie das Verwaltungsgericht in Rom anrufen wollen.
Hier werden aber allenfalls noch »Rabatte« bei den Strafpunkten für Juve (-17), Florenz (-19), Lazio (-11) und Milan (-8) erwartet, das das Urteil als einziger Club akzeptierte, nachdem sich Milan-Boss Silvio Berlusconi »einigermaßen zufrieden« zeigte. Juves Verbleib in der Serie A gilt als ausgeschlossen, da seine Ex-Manager Luciano Moggi und Antonio Giraudo zusammen mit Schiedsrichter-Koordinator Pierluigi Pairetto und Ex-Star-Schiri Massimo De Sanctis eindeutig die Köpfe der so genannten »Fußball-Mafia« waren. Ein erneutes Durcheinanderwürfeln der Ligen ist nicht zu erwarten, so sehr Juve-Präsident Cobolli Gigli dies auch hofft. Er fordert für Juve die »Serie A mit Strafpunkten und einen Titel zurück« und will »so lange prozessieren, bis Juve Gerechtigkeit widerfährt«.
Der Zwangsabstieg kostet Juve 350 Millionen Euro, errechneten Finanzexperten. Von den Turinern angedachte Schadenersatzklagen gegen Moggi werden dieses Loch nicht stopfen. Der gerade begonnene Umbau des »Stadio delle Alpi« in eine moderne Fußball-Arena mit Einkaufs- und Freizeitcenter scheint in Gefahr. In Turin wird man nervös, weshalb der zur Dynastie der Agnellis gehörende Fiat-Präsident Luca di Montezemolo beruhigte: »Die Familie Agnelli wird Juve nicht verkaufen.«
Auch der Ausverkauf der Stars soll gestoppt werden, nachdem Fabio Cannavaro und Emerson bereits Ex-Trainer Fabio Capello zu Real Madrid gefolgt und Gianluca Zambrotta zum FC Barcelona geflüchtet sind. »Es bleiben alle«, sagte Trainer Didier Deschamps.
»Wenigstens sind wir wieder im Paradies«, freute sich Florenz Sportdirektor Pantaleo Corrino über den Rückbeförderung seines Clubs in die Serie A.

Artikel vom 27.07.2006