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Was ist mit den Abgeordneten, die den Spagat zwischen Politik und Lobbyismus im Stillen ausüben?

Leitartikel
Lobbyismus-Debatte

Vorsicht vor
zu viel
Doppelmoral


Von Dirk Schröder
In dem Streit um die Doppelrolle des Bundestagsabgeordneten und Hauptgeschäftsführers der Arbeitgeberverbände (BDA), Reinhard Göhner, ist viel Doppelmoral im Spiel. Da wird von vielen Seiten und aus allen Rohren auf den ostwestfälischen CDU-Politiker geschossen, doch fällt auf, dass sich die SPD mit Kritik sehr zurückhält. Kein Wunder: Bei den Gewerkschaftsfunktionären in den eigenen Reihen möchte man das Thema doch lieber herunterspielen. Ein Beispiel: Da verteidigt der Bielefelder SPD-Abgeordnete Rainer Wend seinen Fraktionskollegen Klaus Brandner, der zugleich IG Metall-Bevollmächtigter in Gütersloh ist. Dort würden Arbeitszeit und Gehalt für einen Abgeordneten halbiert. Es handele sich um eine Nebentätigkeit.
Das soll nur ablenken. Auch Brandner steht sehr wohl in einem Interessenkonflikt. Wer wollte es leugnen: Verbindungen von Politik und Verbänden finden sich in allen Parteien und Parlamenten.
Göhner hat den BDA-Posten seit Jahren inne, nie ein Hehl daraus gemacht und verstößt nicht gegen das Abgeordnetengesetz. Dennoch bleibt die entscheidende Frage: Wie kann man beides und noch mehr schaffen? Der Tag hat doch nur 24 Stunden. Wir hören ständig von den Abgeordneten, ihr Mandat sei ein Vollzeit-Job. Und wenn mal Kritik laut wird, bei den Debatten seien viele Abgeordnetenstühle verwaist, heißt es sofort, die eigentliche Arbeit finde in den Ausschüssen statt - und das häufig genug bis in die Nacht hinein.
Ja, wo bleibt dann aber noch Zeit für einen derart herausgehobenen Posten und für die Arbeit im Wahlkreis? Möglich ist dies doch nur, wenn es dem BDA reicht, dass er einen Lobbyisten im Parlament sitzen hat, den er dafür gut bezahlt. Bei Göhner und auch anderen seiner Kollegen ist es seit Jahren offensichtlich, auf wessen Seite sie stehen.
Aber was ist mit vielen anderen Abgeordneten, die den Spagat zwischen Politik und Lobbyismus eher im Stillen ausüben? Es müssen ja nicht unbedingt bezahlte Nebentätigkeiten sein. Wenn sie sagen, sie verträten die Wählerinteressen, stimmt dies nur bedingt. Auch die Wählerinteressen sind sehr verschieden.
In der gegenwärtigen Diskussion helfen populistische Äußerungen wie die des FDP-Vize Rainer Brüderle nicht weiter, der einen Ehrenkodex für Abgeordnete fordert. Was soll der Wähler mit dieser Selbstverständlichkeit anfangen?
Über die Nebentätigkeiten der Abgeordneten wird nicht das erste Mal gestritten. Jetzt ist endgültig der Zeitpunkt da, an dem eine Frage beantwortet werden muss: Wollen wir den Berufspolitiker, oder wollen wir weiterhin, dass verschiedene Lebensbereiche im Parlament vertreten sind?
Eigentlich ist diese Frage einfach zu beantworten. Wir beklagen doch ständig die Übermacht der Beamten. Nur eines sollte klar sein: Das Mandat steht im Mittelpunkt. Das muss eine Ehrensache für den Abgeordneten sein und kein Balanceakt.

Artikel vom 26.07.2006