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Ärzte demonstrieren
Nähe zum Patienten

Nur wenig Unmut über Ganztagsstreik an Klinik Mitte

Von Gerhard Hülsegge
(Text und Fotos)
Bielefeld (WB). 60 Mediziner haben sich am ersten Ganztagsstreik der Bielefelder Ärzte gestern an den Städtischen Kliniken Mitte und Rosenhöhe beteiligt. Nach einer Fortbildung im Studieninstitut nahmen sie an der Großdemonstration in Dortmund teil. Das WESTFALEN-BLATT beobachtete am Klinikum Mitte, wie die Patienten darauf reagierten.

»Was ich brauche, habe ich bekommen«, meinte Ursula Mann. Die 56-Jährige hatte es sich vor dem Aufgang zum Krankenhaus an der Teutoburger Straße in der Sonne bequem gemacht. Genauso wie Willi Qiering (40), der allerdings an Krücken. Der Hobbyfußballer ist zum zweiten Mal am Meniskus operiert worden und zeigte Verständnis für den Wunsch der Ärzte nach geregelteren Arbeitszeiten und mehr Gehalt. »Was sie stundenmäßig leisten, ist viel zu viel. Nach 24 Stunden Dienst kann niemand mehr ordentlich operieren. Wenn bei mir gepfuscht würde, müsste ich wahrscheinlich noch länger als zehn Wochen in der Klinik bleiben«, meinte der gelernte Schlosser, der sich mit Vater Abraham (70) als Besucher die Zeit vertrieb.
Carola Sch. (18) dagegen, im achten Monat schwanger und an einer Blinddarm-Infektion leidend, will sich vom Klinikum Mitte nach Gilead (Bethel) verlegen lassen, weil ihre OP nicht als Notfall angesehen wurde. Lebensgefährte Marcel Sch. (21) hat einen Anwalt eingeschaltet.
Zur Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebes hatte der Marburger Bund als Interessenvertretung der Ärzte bereits am 21. Juni eine Notdienstvereinbarung unter anderem für Tumorpatienten und Kinder getroffen. Ein Transparent mit der Aufschrift »Wir streiken« am Eingang der Klinik Mitte und ein Infostand unterrichteten Patienten und Besucher über die Arbeitskampf-Maßnahme.
An der Information des Krankenhauses registrierte man gestern trotz Streik einen »ruhigen Alltag«. 48 neue Patienten zwischen 7.00 und 11.45 Uhr - das waren nicht viel weniger als sonst (60 bis 70 Personen). Sie wurden von Christine Feist (57) und Doris Pott (50) von der Ökumenischen Krankenhaushilfe (ÖKH) empfangen. Die Damen im grünen Kittel sprachen jeden gleich am Eingang freundlich an, halfen beim »Nummernziehen« und begleiteten zur Untersuchung in die richtige Abteilung. Der Service, seit 1. Juli von den Evangelischen Krankenhäusern Gilead und dem Johanneskrankenhaus übernommen, stieß auf sehr viel positive Resonanz. »Der Bedarf ist riesig«, meinte Ingrid Gerstenberger (66), Leiterin des Dienstes im Ehrenamt mit insgesamt 25 Kräften, davon 18 in der Klinik Mitte.
Normaler Alltag herrschte gestern in der Klinik für Strahlentherapie. »Alle Krebsoperationen in der chirurgischen Klinik werden planmäßig durchgeführt«, betonte Chefarzt Prof. Dr. Peter Hirnle, nicht mehr Mitglied des Marburger Bundes, aber voller Verständnis für seine streikenden Kollegen: »Die Länder haben bundesweit seit Jahren die Verpflichtung nicht erfüllt, die Grundausstattung der Krankenhäuser zu bezahlen.« Der dritten Streikaktion (nach »Aktiver Mittagspause«, Vormittags- und gestrigem Ganztagsstreik) sollen in der nächsten Woche weitere und längere Arbeitsniederlegungen folgen, wenn keine Einigung im Tarifstreit erfolgt, kündigte Dr. Christian Leuner, Sprecher des Streikkomitees in Bielefeld, an.

Artikel vom 26.07.2006