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Hauchdünner Stoff, bräunlich-roter Farbton: »das Gesicht Jesu«.

Papst besucht Reliquie mit dem »Gesicht Jesu«

Reise nach Manoppello sorgt für Diskussionen

Rom (dpa). Papst Benedikt XVI. gilt als »nüchterner Christenmensch«. Sein nächstes Reiseziel wird daher mit ziemlicher Verwunderung, teilweise mit Kopfschütteln aufgenommen. Benedikt will in das Abruzzen-Dorf Manoppello reisen.

Dort will er vor einem hauchdünnen Stück Stoff beten, das auf eigenartig-changierende Weise den geschundenen und malträtierten Kopf eines Mannes zeigt. Für Anhänger der Reliquie handelt es sich um das Antlitz Jesu Christi - für andere ist der Besuch zugleich Höhepunkt eines Vatikan-Krimis, der spannender nicht sein könnte.
Die 4000-Seelen-Berggemeinde ist idyllisch gelegen, der Blick schweift weit, bei klarer Sicht bis über die Adria. Am Ortseingang grüßt ein Schild: »Volto santo 1506-2006«. Die Kirche selbst ist klein und schlicht, doch vor dem »volto santo«, dem heiligen Gesicht, gehen die Menschen zum 500-Jahr-Jubiläum in die Knie, bekreuzigen sich.
Die Ikone ist in bräunlich-rötlichem Farbton gehalten, die Nase des Mannes wirkt gebrochen, der Schädel weist Spuren von Schlägen auf. Das Tuch zeigt faszinierende Effekte: Bei starker Beleuchtung verschwindet das Abbild, das Material ist durchsichtig wie ein Nylonstrumpf.
Doch um das angeblich »nicht von Menschenhand gemalte« Haupt rankt sich ein erbitterter Streit. Der deutsche Vatikanexperte und Buchautor Paul Badde sowie eine bisher eher kleine Gruppe von Forschern um den Kunsthistoriker und Jesuiten Heinrich Pfeiffer sind überzeugt, dass das Bildnis in Manoppello just jenes Stück Stoff ist, das vor 2000 Jahren am Grab des Predigers aus Nazareth gefunden wurde. »Das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte«, heißt es im Johannes Evangelium. 700 Jahre später fand das Tuch seinen Weg nach Rom und wurde als »Schweißtuch der Veronika« zur bedeutendsten Reliquie der Christenheit.
»Das göttliche Gesicht« heißt das neue Buch des Deutschen, in dem er die These vertritt, dass das »volto santo« im Zuge des Neubaus der Peterskirche vor 500 Jahren aus Rom verschwand. Unbekannte Ikonen-Diebe hätten das Chaos genutzt, um die Reliquie zu entführen. Das Pikante: Der Vatikan behauptet, nach wie vor im Besitz des »Schweißtuchs« zu sein, einmal im Jahr wird das Bild gar den Gläubigen gezeigt - wenn auch bemerkenswert kurz und nur von weitem. »Eine Kopie, eine Fälschung«, sagt Badde.
Offiziell schweigt der Vatikan zu der aufmüpfigen Theorie. Aufsehen erregte es aber vor gut einem Jahr, als der Kölner Kardinal Joachim Meissner sich kurz vor der Papstwahl aus Rom losmachte und eigens zum »volto santo« fuhr. Und der Papst? Im Vatikan und in Manoppello heißt es, er werde am 1. September zur »Mutter aller Ikonen« fahren. Offiziell ist der Besuch noch nicht bestätigt, er wird als »privat« bezeichnet, eine heikle, schwierige Reise also.

Artikel vom 25.07.2006