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»Gesundheitsreform kommt«

Bundesregierung will sich von Protesten der Kassen nicht erweichen lassen

Berlin (dpa). Die Attacken zwischen Krankenkassen und Bundesregierung werden härter. Die Kassen stemmen sich weiter mit aller Macht gegen die geplante Gesundheitsreform, die Bundesregierung nennt die Proteste »nicht hinnehmbar«.
In Berlin: Protest gegen die Gesundheitsreform.
Die Regierung werde angesichts der »völlig unangemessenen Reaktion einiger Verbandsfunktionäre« entschieden dagegen halten, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg gestern in Berlin. Die Reaktionen zeigten, dass diese Funktionäre Wettbewerb und Transparenz scheuten »wie der Teufel das Weihwasser«.
In Berlin demonstrierten gestern nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi 4000 Beschäftigte der gesetzlichen Krankenkassen. Verdi rechnet bei Einführung des Gesundheitsfonds mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen. Auch in Hamburg war für den Nachmittag eine Kundgebung geplant.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder will die Gesundheitsreform auch gegen die gestern begonnenen Proteste durchsetzen. Der CDU-Politiker verwies dabei auf das Beispiel des ehemaligen Fußball-Bundestrainers Jürgen Klinsmann. Dieser habe gezeigt, dass richtige Konzepte manchmal auch gegen große Widerstände durchgesetzt werden müssen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wies Berechnungen von Krankenkassen zurück, wonach durch den geplanten Gesundheitsfonds bis zu 30 000 Stellen gefährdet seien. Man wolle auf die Kompetenzen der Mitarbeiter im Beitragseinzug »nicht verzichten. Sie sollen das weiter tun - nur nicht mehr für jede einzelne Kasse extra, sondern kassenübergreifend für den Fonds«, sagte sie.
Zuspruch erhielt Schmidt allerdings von der Betriebskrankenkasse Deutsche BKK. Deren Vorstandsvorsitzender Ralf Sjuts sagte: »Die Reform ist ein Schritt in die richtige Richtung.« Zu Warnungen, der Fonds werde eine neue Mammutbehörde und höhere Verwaltungskosten bringen, sagte Sjuts: »Es kommt darauf an, wie man den Fonds gestaltet. Wir glauben, dass eine schlanke Behörde möglich ist, die das Know-How und das Personal der Krankenkassen nutzt.«
Grünen-Chef Reinhard Bütikofer nannte die Gesundheitsreform erneut »zusammengeschusterten Pfusch, der keine Probleme löst, sondern nur neue schafft.« Der Vorstandschef der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, Herbert Rebscher, bekräftigte, bei den Verhandlungen zur Gesundheitsreform sei nicht »eine sachliche Problemlösung gefragt« gewesen.
Der Verwaltungsrat des AOK-Bundesverbandes verurteilte in einem Positionspapier die Eckpunkte der geplanten Gesundheitsreform. Bewährtes werde zerschlagen und zusätzliche Bürokratie eingeführt.
Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Herbert Rische, äußerte sich kritisch über den Gesundheitsfonds, der künftig nicht nur die Beiträge der Krankenkassen, sondern auch jene der anderen Sozialversicherungen einziehen soll. Eine »neue Großbehörde« sei nicht erforderlich.
Hubertus Schmoldt, Chef der Chemie-Gewerkschaft IG BCE, warnte indessen die Gewerkschaften davor, im Streit um die Gesundheitsreform auf Konfliktkurs zu gehen. Ohne Verdi direkt zu nennen sagte Schmoldt: »Demonstrationen und Protestkundgebungen sind der falsche Weg.« Nötig sei vielmehr eine Versachlichung der Debatte.

Artikel vom 27.07.2006