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Selbst auf Tour vor der Tour

WB-Redakteur schwitzt auf Probefahrt der Bielefelder Etappenkilometer

Von Michael Diekmann
und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). In einer Woche rollt der Tross an. Die Werbekarawane, das Fahrerfeld. Die Bilder der Tour durch Frankreich noch vor Augen kann man sich vorstellen, wie am 2. August Tausende Zuschauer an der Strecke ihren Idolen zujubeln. Bielefeld ist erste Etappenstadt der Deutschlandtour. Grund genug, die knapp zehn Kilometer auf städtischem Gebiet mal über den Rennlenker anzuvisieren. Die Aufgabe heißt Zieleinlauf im Selbstversuch - an einem ganz normalen Werktag.

Die Luft ist stickig. Am Fuß von Peter auf'm Berge brennt die Sonne. 32 Grad am Nachmittag. Jenseits der Bundesstraße 68 beginnt stumpf der Anstieg. Von 140 Metern geht es bis auf 226. So hoch ist der Rücken des Teutoburger Waldes an dieser Stelle. Die Meute der Deutschlandtour wird an dieser Stelle schon 191 Kilometer in den Beinen haben, Bergwertungen im Bergischen absolviert und im Windschatten des Feldes die langen Geraden seit Wiedenbrück abgestrampelt haben.
Mein Anlauf ist deutlich kürzer. Ich habe vormittags noch am Schreibtisch gesessen. Jetzt kurz vor 16 Uhr strahlt die Hitze vom Asphalt, brennt das Salz in den Augen. Anders als die Profis muss ich mir die Fahrbahn mit den Autos teilen, mit Cabrios, Limousinen, schweren Lkw und einem Baufahrzeug samt Kran. Ich bin an den Rand gedrängt, muss mich vor dem Wiegetritt erst umschauen, wenn ich aus dem Sattel gehen will. Der Tritt ist rund, eine leichte Linkskurve, dann der Rechtsbogen, wieder links, an einer Garteneinfahrt vorbei komme ich in den Schatten der großen Bäume. Erstes Hinweisschild auf das Ausflugslokal, dann wird an der Kuppe die Zufahrt sichtbar. »BW« steht hier in Grün auf den Asphalt gesprüht: Bergwertung. Hier bei Kilometer 191,5 gibt es Bergpunkte für den Führenden.
Der Tritt wird schlagartig leichter, Schalten, die Kette auf die größte Übersetzung. Von jetzt an beginnt die große Abfahrt, die bis in die Innenstadt auf die Herforder Straße führen wird. In leichten Bögen schwingt sich die Straße hinab nach Hoberge. Der Tacho ist schnell über 60, Gegenverkehr zwingt zur Vorsicht. Kurz vor der Einmündung in die Dornberger Straße muss ich scharf bremsen. Die Profis werden hier im großen Bogen viel Tempo mitnehmen auf die Fahrt Richtung Tierpark. Mit gut 45 »fliege« ich über die normale Alltagsstraße. Außenspiegel mich überholender Autos rauschen eine Hand breit an meinem Lenker vorbei. Ich liege geduckt auf dem Rad. Möglichst wenig Luftwiderstand. Dazu ein aufmerksames Auge auf die Straßendecke. Ausgebrochene Stücke am Rand und Unebenheiten bergen große Gefahrenbei hohem Tempo.
Wer in Bielefeld beim Zieleinlauf für den Kracher sorgen will, muss am Tierpark Olderdissen schon sein Herz in die Hand genommen haben. Bevor es in rasender Abfahrt ins neu asphaltierte Johannistal geht, muss man als Ausreißer schon weg sein. Höhe Mönkebergstraße, denke ich gleichmäßig tretend, wäre eine gute Stelle. Antreten aus der Tiefe des Feldes und mit Schwung über den letzten kleinen Anstieg hinein in den Geschwindigkeitsrausch. Am idyllischen Ententeich sind 70 Sachen drin. Dann muss der Selbstversuch kurz unterbrochen werden.
Im Alltag ist die Ausfahrt zum Adenauerplatz für Radfahrer tabu. Profis haben Extrawürste. Ich muss mich durch die rotweißen Gatter zwängen und über die Brücke OWD und Eisenbahn überqueren, bekomme dafür eine einzigartige Perspektive von Bielefeld. Auf die müssen die Voigts und Zabels leider verzichten. Oetkers leuchtender Glasaufsatz auf einer Höhe mit der Sparrenburg. Auf dem Adenauerplatz bin ich mitten drin im Feierabendverkehr.
Vorbei an der Kunsthalle, der Handwerkskammer über den grünen Stadtring, den Jahnplatz geht die Fahrt bis Höhe Zimmerstraße. An jeder Ampel muss ich anhalten. Grüne Welle für Radler gibt es nicht. Es sei denn, es ist Deutschlandtour und man kommt in Feldstärke. Dafür schauen mich Fußgänger groß an. Einen Radrenner samt Trikot und Helm, mit »knallrotem Kopf« sieht man nicht alle Tage. Die meisten haben ohnehin mehr Augen für den Ausverkauf.
Nächste Woche werde ich Zaungast sein bei der Tour. Gut, es ist die erste Etappe. Und die wirklichen Berge haben die Profis schon rund um Wuppertal zu absolvieren. Aber gerade der »Peter« nach den vielen Kilometern in der Ebene könnte für eine Überraschung sorgen und der von vielen angepeilten geschlossenen Ankunft des Feldes inklusive Massensprint einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Wie gesagt, Höhe Mönkebergstraße, bei noch fünf verbleibenden Kilometern. Ich würd«s versuchen. Einen großen Vorteil haben die Jungs am kommenden Mittwoch jedenfalls: Größtmögliche Sicherheit, keinen Autoverkehr und abgesperrte Strecke. Und mit etwas Glück legt auch der Sommer eine kurze Pause ein und zieht sich unter die 30-Grad-Marke zurück. Ich werde mir einen guten Platz suchen. Wenn gegen 16.40 Uhr in der City die Zielflagge fällt, haben die Herren knapp 200 Kilometer in den Beinen. Geschätzte Fahrzeit 4:30 Stunden. Ordentliche Arbeit. Mich führt der Weg nach der Probefahrt zurück ins Büro, wieder als Einzelkämpfer im pulsierenden Feierabendverkehr. Die weitere Strecke spare ich mir für den Feierabend auf. Dann bestimmen am Stadtrand die Hobbyradler das Bild. Fahren im Kreis von Gleichgesinnten. So wie bei den Herren der Deutschlandtour.

Artikel vom 27.07.2006