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Kleine, feine Gaben
auf einem langen Weg

Wunschkonzert zu Gunsten der neuen Marien-Orgel

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). »Das ist ja hier wie im Kino«, entfuhr es einem Besucher angesichts der Schlange, die sich am Sonntagabend vor der Neustädter Marienkirche gebildet hatte. Im Rahmen des Orgelsommers hatte Kantorin Ruth M. Seiler zum Wunschkonzert zu Gunsten der neuen Orgel gebeten, und rund 200 Musikliebhaber hatten die Einladung angenommen.

Der rege Publikumszuspruch lässt auf ein erfreulich großes Interesse von Gemeindemitgliedern und Orgelfreunden an einem neuen Instrument schließen sowie auf die Bereitschaft, dafür etwas springen zu lassen. Zumal das spendende Publikum sich im Vorfeld die Stücke aus einem vorgegebenen Pool, gefüllt mit wahrhaften Ohrwürmern und Seelenwärmern der Orgelliteratur, aussuchen konnte.
700 Euro, ließ Ruth M. Seiler im locker moderierten Konzert wissen, sind auf diese Weise in den Topf für den Orgelneubau geflossen. Ein Tropfen des Ozeans mag man denken angesichts von rund 500 000 Euro, die noch aufgebracht werden müssen, und Gesamtkosten von 650 000 Euro. Nichtsdestotrotz kleine feine Gaben auf einem langen Weg.
Bestimmte das Publikum schon, was gespielt wurde und was nicht, behielt sich die Organistin vor, die Reihenfolge unter Verschluss zu halten und ein heiteres Rätselraten zu veranstalten. »Wir teilen uns die Anstrengung. Ich wusste nicht, was ich einstudieren sollte, jetzt sind Sie gefordert.« Wer am Ende alles Gehörte in der richtigen Reihenfolge benennen konnte, nahm an einer Verlosung teil.
Mit kleinen Hilfestellungen und einer prickelnden Verschnaufpause in der Mitte ließen sich die 15, zum Teil thematisch gebündelten Stücke schon einordnen. Los ging's mit Bachs Orgelklassiker, Toccata und Fuge in d-Moll, die hier mit Verzicht auf all zu dicke Emphase schön luftig und leicht durchs Kirchenschiff tänzelte. Von Geburtstagskind Mozart gab's drei Sätze aus der Fantasie KV 594, gefolgt von zwei Bach-Choralvorspielen, »Wachet auf« und »Jesus bleibet meine Freude«, beides farblich geschmackvoll und im Duktus zuversichtlich präsentiert.
Seilers Vorliebe für die Franzosen fand sich wieder in Léon Boellmanns »Suite gothique«, César Francks »Prélude, Fugue et Variation« und Charles-Marie Widors Toccata in F-Dur, die hier lustvoll-präzise zum kathedralen Klanggemälde gesteigert wurde.
Vom heiteren Purcell-Entree nach der Pause über die Morgenstimmung zu »God save the King« und »Carillon de Westminster« weiter zum »Karneval der Tiere« und den «Bildern einer Ausstellung«.
Unter den zahlreichen Bearbeitungen, die dieses Orgel-Potpourri bereithielt, machte sich auch gut Edward Elgars Zugaben-Klassiker »Pomp and Circumstance«, ehe Ruth M. Seiler nach zweieinhalb Stunden mit dem wörtlich genommenen »Sortie« eines gewissen »modernen Organisten« ein restlos begeistertes Publikum wieder an die Luft setzte.

Artikel vom 25.07.2006