29.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wottrichs Fiasko als Siegmund

»Walküre« in Bayreuth: Hauptdarsteller ausgebuht - Pieczonka überzeugt

Bayreuth (dpa). Eng liegen Triumph und Scheitern beieinander in der »Walküre«, dem zweiten Teil der Neuinszenierung von »Der Ring des Nibelungen« bei den Bayreuther Festspielen. Die Geschwister Siegmund und Sieglinde, als Kinder gewaltsam getrennt, finden sich dort in lauer Frühlingsnacht wieder und zeugen in Ekstase den Helden Siegfried.

Doch während Adrianne Pieczonka die von Richard Wagner grandios erdachte Szene bei der Premiere am Donnerstag zu ihrem Sieg machte, erlebte Endrik Wottrich sein Fiasko. Schon in der ersten Pause gab es neben mattem Höflichkeitsbeifall Buhrufe für eine misslungene Leistung.
Waren es Nachwirkungen einer Indisponiertheit, die Wottrich zwei Tage zuvor zum Verzicht auf die Rolle des Erik im »Fliegenden Holländer« bewogen hatte? Als Siegmund jedenfalls wirkte er überfordert. Seiner Stimme fehlte es an jener natürlichen Kraft, die einen Heldentenor strahlen lässt. Kläglich verhallten die »Wälse«-Rufe des Recken Siegmund.
Das Kontrastprogramm bot Adrianne Pieczonka. Die junge kanadische Sopranistin, eine Art Shooting-Star des internationalen Wagner- und Strauss-Gesangs, stellte nachdrücklich unter Beweis, warum die Kritik sie »die Sieglinde unserer Tage« nennt. Pieczonka brillierte mit lyrisch-expressivem, nuanciertem Sopran, wirkte mühelos noch in den Spitzentönen und bestach mit klarer Artikulation. Ganz nebenbei demonstrierte sie auch noch schauspielerisches Bemühen, um den angeblichen Liebestaumel neben ihrem stocksteifen Bühnenpartner zumindest ein klein wenig anschaulich zu machen.
Exemplarisch zeigte sich hier erneut die große Schwäche der Inszenierung des Dramatikers Tankred Dorst: Es fehlt - bedingt auch durch die kurze Vorbereitungs- und Probenzeit - an jeglicher Personenregie. Dass die Darsteller sich selbst überlassen bleiben, hat einer von ihnen, Alexander Marco-Buhrmester, in einem Interview offen ausgesprochen: Dorst trete gar nicht als Regisseur auf, eher als Ideengeber. »Es ist für uns Sänger schon sehr schwierig«, sagte Marco-Buhrmester, der den Gunther spielt. »Da stehen wir manchmal im Leeren.«
Pluspunkte sammelt die Inszenierung beim Publikum mit den schönen Bühnenbildern von Frank Philipp Schlößmann. Sie zeigen »Unorte« am Rande unserer modernen Zivilisation: Eine verlassene Lichtung als Abstellplatz für ausrangierte Denkmäler und Statuen; einen stillgelegten Steinbruch mit Unrat und alten Autoreifen. Hier siedelt Dorst die mythische Götterwelt an, hier bannt Wotan seine Lieblingstochter Brünnhilde, feuerrot gewandet und gegürtet (Kostüme: Bernd Skodzig) - allerdings nicht auf einen Felsen, sondern auf eine Holzpalette. Parallelwelten werden angedeutet, wenn Kinder durchs Bild laufen oder ein Radfahrer im Hintergrund verweilt.
So bleibt zur Halbzeit ein zwiespältiger Eindruck vom neuen »Ring«. Eines aber scheint jetzt schon klar zu sein: Er ist die Stunde des Dirigenten. Christian Thielemann, erneut mit donnerndem Applaus bedacht, führte das sehr konzentriert musizierende Festspielorchester zu einer schwelgerischen Auslegung der Wagnerschen Musik, ließ sie funkeln, vermittelte zugleich aber auch Spannung und Dramatik.
Der »Ring« wird an diesem Samstag mit »Siegfried«, dem dritten Teil der Tetralogie, fortgesetzt. Gespannt wartet das Publikum auf den ersten Auftritt des amerikanischen Heldentenors Stephen Gould in der Rolle des jungen Siegfried.

Artikel vom 29.07.2006