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Somalias Islamisten rücken vor

Äthiopien will dort Machtübernahme verhindern und schickt Truppen

Von Ulrike Koltermann
Mogadischu (dpa). Falls es den Islamisten gelingt, in ganz Somalia die Kontrolle zu übernehmen, dann soll das Land am Horn von Afrika gleich eine neue Flagge bekommen: Sie würde in Gold auf Schwarz den Koran und zwei gekreuzte Kalaschnikows zeigen.
Am Horn von Afrika wollen die Islamisten die Macht übernehmen.

Hastig entworfene Anschauungsexemplare sind in der Hauptstadt Mogadischu zu sehen, die die Islamisten Anfang Juni eingenommen haben. Mittlerweile stehen ihre Milizen kurz vor Baidoa, der Kleinstadt etwa 240 Kilometer nordöstlich von Mogadischu, wo die Übergangsregierung ihren Sitz hat. Es droht neue Gewalt, denn die bedrängte Regierung hat ausgerechnet Somalias Erzfeind Äthiopien um Hilfe gebeten.
Äthiopien hat in den 90er Jahren mehrfach Truppen ins Nachbarland geschickt, um dort eine islamistische Regierung zu verhindern. Dies scheint sich jetzt zu wiederholen. Die Übergangsregierung, die nach zähen Verhandlungen auf Druck der internationalen Gemeinschaft 2004 gebildet wurde, ist zu schwach, um ihre Kontrolle auf das ganze Land auszudehnen. Und Präsident Abdullahi Yusuf unterhielt immer schon enge Verbindungen nach Äthiopien.
Die Union der Islamischen Gerichte ist ein loser Verbund mehrerer Gerichte, die in dem von Anarchie geprägten Staat eine Art letzte Instanz der Justiz waren. Sie verfügen über schwer bewaffnete Milizen, die in den vergangenen Wochen gegen eine von den USA unterstützte Allianz von Milizenchefs vernichtend geschlagen haben. Die USA fürchten, dass sich unter den Islamisten in Somalia auch Anhänger der Terrororganisation El Kaida befinden.
Ähnlich wie in Afghanistan nach dem Einmarsch der Taliban haben sich auch die Einwohner von Mogadischu zunächst über den Sieg der Islamisten gefreut. Zum ersten Mal seit Jahren ist die Stadt in der Hand einer einzigen Gruppe, Straßensperren wurden abgebaut, die Preise fielen, Freiwillige sammelten Müll ein.
Noch ist unklar, ob die Islamisten ähnlich wie die Taliban versuchen werden, den Somalis ein extremes Regime aufzuzwingen. Einige Vorfälle lassen jedoch den wachsenden Einfluss der Extremisten befürchten. So wurden Übertragungen der Fußball-Weltmeisterschaft unterbrochen, Diebe gesteinigt und Musiker ausgepeitscht, die auf einer Hochzeit spielten.
In Mogadischu ist die anfängliche Erleichterung längst der Angst vor neuen Kämpfen gewichen. Aus dem Exil zurückgekehrte Somalis, die beim Wiederaufbau des Landes helfen wollten, setzen sich nach und nach wieder in ihre sicheren Gastländer ab.

Artikel vom 22.07.2006